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In Fragen direkter Demokratie ist Deutschland ein EU-Entwicklungsland

22.05.200511:54 UhrPolitik, Recht & Gesellschaft

(openPR) 22. Mai 2005, 17.00 Uhr
Frankreich, Bordeaux:

Kundgebung zur EU-Verfassung – Rede Petra Pau (PDS)


In Fragen direkter Demokratie ist Deutschland ein EU-Entwicklungsland



1. Ich beneide Sie. Ich beneide die Bürgerinnen und Bürger Frankreichs. Sie können - jede und jeder – in einer Volksabstimmung - ihr Votum über die künftige Verfassung der EU abgeben.

Sie können, wie die Bürgerinnen und Bürger in neun weiteren Ländern sagen: Ja, so soll die EU verfasst werden, damit es unsere EU wird. Sie können auch sagen: Nein, mit dem vorliegenden Verfassungsvertrag wäre das nicht meine EU.

In Deutschland gibt es keine Volksabstimmung. Sie war nicht gewollt – aus Prinzip und aus Feigheit. Meine Partei, die PDS, die Partei des Demokratischen Sozialismus hat sich immer für mehr direkte Demokratie eingesetzt – aus Prinzip und mit Engagement. Schon beim Maastrichter Vertrag über die EU oder bei der Einführung des Euro. Bislang leider vergeblich.

Deshalb beneide ich Sie und ich sage zugleich: Die Bundesrepublik Deutschland hat die EU-Verfassung ratifiziert, mit großen Mehrheiten in beiden Kammern. Und Deutschland hat sie schnell ratifiziert.

Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer haben auch nie ein Hehl daraus gemacht, warum sie so in Eile waren. Das deutsche Ja sollte ein starkes Signal sein, rechtzeitig vor dem Plebiszit in Frankreich.

Ich rate Ihnen. Lassen Sie sich davon nicht beirren. Das deutsche Signal ist nicht stark. Es ist schwach. Denn in Fragen direkter Demokratie ist Deutschland noch immer ein EU-Entwicklungsland, sollte also eher Ratsuchender denn Ratgeber sein. Und dabei den Rat und die Meinungen der hier lebenden Menschen suchen.

Sie sind der Souverän, niemand sonst. Deshalb wünsche ich Ihnen eine kluge Volksabstimmung über die Verfassung unserer gemeinsamen EU.


2. Als der Vertrag über die EU-Verfassung im Deutschen Bundestag ratifiziert wurde, haben wir zwei PDS-Abgeordneten mit Nein gestimmt. Wir haben zugleich klar gestellt: Unser Nein zur Verfassung ist kein Nein zur EU.

Ein libertäres, ein soziales, ein friedliches Europa ist eine uralte linke Vision. Blicken wir zurück: Zweimal ging von Deutschland ein Weltkrieg aus. Zweimal wurde Europa verwüstet. Benachbarte Völker wurden zu Feinden. Millionen zahlten den Wahnsinn mit dem Leben.

Davon sind wir heute – zum Glück – weit entfernt. Wir haben vor wenigen Wochen in Berlin den 60. Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg mit einem großen Fest der Demokratie gefeiert. Es war zugleich ein europäisches Fest. Und es waren viele Französinnen und Franzosen unter den Gästen und Besuchern aus Russland, der Ukraine, aus Polen oder aus Israel. Wir haben aus der Geschichte gelernt und wollen zugleich die Erinnerung an den nationalistischen und weltherrschaftlichen Wahnsinn der Hitlerbarbarei als Mahnung bewahren. Immer wieder.

Umso sorgsamer haben wir geprüft, ob der Verfassungsvertrag, endgültig vorgelegt von der Regierungskonferenz der 25 EU-Mitgliedstaaten unsere Vision von einem libertären, sozialen und friedliebendem Europa spiegelt. Wir haben dabei viel Vernünftiges gefunden. Regeln und Ziele, die Besseres verheißen und ermöglichen, als die heutige auf dem Nizza-Vertrag beruhende Europäische Union derzeit.

Aber es gibt Paragrafen und Bestimmungen denen eine Logik zugrunde liegt, die wir aus historischen und aktuellen Gründen ablehnen. Ich will keine EU, die ihre Hochrüstung koordiniert, und ich will keine EU, die ihre Armeen in die Welt schickt. Ich will eine EU, die es lernt, Konflikte vorbeugend, solidarisch und zivil zu lösen.

Ich will auch keine EU, die versucht, den Vereinigten Staaten von Amerika a lá Präsident Bush ebenbürtig zu werden. Ich halte die Politik der USA für falsch und gefährlich. Und wenn das stimmt, dann kann auch jede Kopie dieser USA nur falsch und gefährlich werden.

Ich erlebe in Deutschland eine zunehmende Militarisierung der Außenpolitik. Zu keiner Zeit war die Bundeswehr in so vielen Ländern und so umfangreich im Einsatz, wie derzeit. Die PDS hat das immer kritisiert. Deshalb wollen wir nicht, dass diese Militarisierung per EU-Verfassung eine höhere Weihe erhält. Auch daher unser Nein.


3. Es gibt einen weiteren Grund, warum wir mit Nein gestimmt haben. Es geht um die Wirtschaftspolitik, um den Arbeitsmarkt, um soziale Gerechtigkeit, also um Millionen Bürgerinnen und Bürger in allen Ländern der EU.

Wir haben in Deutschland rund 5 Millionen registrierte Arbeitslose. Das ist Nachkriegs-Rekord. Ich komme aus einer Region in der 20, 30, manchmal sogar 40 Prozent der Bevölkerung ohne bezahlte Arbeit sind.

Zugleich hat der Vorsitzende der SPD, Franz Müntefering, eine Debatte entfacht, die unter der Überschrift „Kapitalismus-Kritik“ läuft. Das ist durchaus bemerkenswert: Denn nach dem Ende der DDR galt im offiziellen Deutschland der Kapitalismus als nahezu heilig. Und der von jeglichen sozialen und ökologischen Rahmenfestlegungen entkoppelte Wettbewerb als Ideal.

Nun ist die Kritik am Kapitalismus plötzlich wieder legitim und obendrein medientauglich. Es taucht die Frage auf: darf und kann es Eu-weite Bemessungsgrundlagen für Steuern – oder Sozial- und Umweltstandards geben. D.h., die spannende Frage ist: Was folgt aus der Kritik am neoliberalen Wettbewerbsdogma und am Kapitalismus? Werden dem Kapital künftig wieder Schranken gesetzt? Oder ist der Abbau des Sozialstaates weiterhin das große Programm des 21. Jahrhunderts?

Schauen wir in den Vertrag über eine Verfassung für die Europäische Union. Sie finden keine klare Antwort. Sie finden stattdessen viele. Im Teil I ist von einer „sozialen Marktwirtschaft“ die Rede, die auf Vollbeschäftigung, sozialen Fortschritt und eine bessere Umweltqualität zielt.

Im Teil III der Verfassung findet sich davon fast nichts mehr. Stattdessen werden die Mitgliedstaaten der EU auf den „Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ verpflichtet. Das ist ein Kompromiss, sagen die einen. Ich sage: Das ist kein Kompromiss. Das eine ist das Gegenteil des anderen.

Ich will nicht, dass die künftige EU nach einem faulen Kompromiss verfasst wird. Ich will, dass die überfällige Kapitalismus-Kritik Folgen hat, dass Werte, wie Gerechtigkeit und Solidarität, wieder wichtiger werden, als Profit und Rendite. Deshalb haben wir mit Nein gestimmt. Auch: um aufhorchen zu lassen: Wir haben durchaus alternative Vorstellungen für eine sozial und umweltbewahrende, demokratisch verfasste Europäische Union.


4. Ich habe anfangs gesagt: „Ich beneide Sie!“ Sie haben die Würde des Souveräns. Sie können sich per Volksabstimmung entscheiden. Damit haben Sie aber auch die Bürde des Souveräns. Sie müssen klug entscheiden, sie müssen das Pro und Kontra wägen und sie müssen nicht nur ihre Wünsche bedenken. Es geht auch um die Folgen.

Ich kenne etliche Gründe, die gegen die EU-Verfassung vorgebracht werden, aber eigentlich mit der EU-Verfassung nichts zu tun haben.
▪ Ich kenne viele, die der aktuellen Regierung einen Denkzettel verpassen wollen und deshalb gegen die EU-Verfassung stimmen wollen. Ich halte das nicht für klug.
▪ Ich kenne Rechtsextreme, die ihre Nationalismen und Rassismen pflegen und deshalb die EU-Verfassung ablehnen. Ich halte das für kreuz-gefährlich.
▪ Andere finden, die EU ist da, aber vor allem als Problem und nicht als Lösung. Für die europäische Perspektive und angesichts der zunehmenden Globalisierung halte ich auch das für falsch.


5. Mein Thema ist daher nicht: Wie kann ich die EU verhindern. Mich bewegt vielmehr: Wie lässt sich die heute real existierende EU verändern und verbessern. Deshalb bin ich auch grundsätzlich für eine Verfassung der Europäischen Union, für die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union. Sie wäre ein Fortschritt, vorausgesetzt, die Verfassung ist gut.

Und daher sage ich auch an die Adresse der Europäischen Linkspartei, an die Linken in Europa und an alle, die eine soziale, demokratische und friedensstiftende Europäische Union wollen:

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