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Bürger werden als Souverän gehandelt und als Problem behandelt

21.09.200614:09 UhrPolitik, Recht & Gesellschaft

(openPR) Rede von Petra Pau im Bundestag am 21. 09. 2006 zum TOP „Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag - Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages im Jahr 2005“

(es gilt das gesprochene Wort)

1. Meine Kollegin Kersten Naumann hat die Arbeit des Petitions-Ausschusses als „Seismografen der Nation“ und als eine Form direkter Demokratie gewürdigt. Dem will ich überhaupt nicht widersprechen.

Im Gegenteil: Ich appelliere, die Probleme und die Belange, die dort behandelt werden, noch viel ernster zu nehmen. Es gibt keinen Parlaments-Ausschuss, der näher am wahren Leben dran ist, als dieser.

2. Frau Naumann hat summiert: Es gab noch nie so viele Petitionen, wie im vergangenen Jahr, jedenfalls nicht seit 1992. Das ist der Positiv-Befund. Dahinter darf spekuliert werden. Was sind die Ursachen dafür?

Liegt es daran, dass die demokratischen Möglichkeiten hierzulande immer engagierter genutzt werden? Oder liegt es daran, dass die Bürgerinnen und Bürger von immer mehr Sorgen geplagt werden?

3. Das Zweite ist der Fall. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger fühlen sich ungerecht behandelt, geraten in soziale Nöte, ringen mit Gesetzen, die sie in ihrer Würde beschränken. Das ist der ernste Befund.

Die Gesundheitsreform und die Hartz-Gesetze haben dazu beigetragen. Und so heißen die Sub-Botschaften vieler Petitionen auch: Wir fühlen uns von der Politik verraten und verkauft! Das ist der Haupt-Befund.

4. Und er korrespondiert mit aktuellen Untersuchungen. Demnach halten immer weniger Bürgerinnen und Bürger die Demokratie für eine gute Staatsform. Die Tendenz gilt für die gesamte Bundesrepublik.

Im Westen zweifelt rund ein Drittel an der Güte der Demokratie und im Osten sind es weit mehr als die Hälfte. Ich halte das für alarmierend. Der Bundestag darf darüber nicht länger leichtfertig hinweg gehen.

5. Schließlich geht es nicht um irgendeine „Demokratie“. Es geht um die Bundesrepublik Deutschland und darum, wie sie von den Bürgerinnen und Bürgern wahrgenommen wird. Immer fremder, immer gleichgültiger.

Das aber ist ein Einfallstor für Rechtsextremisten. Und sie nutzen es weidlich. Sie merken ich fahre dort fort, wo ich gestern in der Debatte um Rechtsextremismus aufgehört habe. Ich werde dies immer wieder tun.

6. Der sicherste Verfassungsschutz ist noch immer eine couragierte Zivilgesellschaft. Das ist eine Binsenweisheit für alle, die das Grundgesetz und die Würde des Menschen ernst nehmen.

Wenn sich aber immer mehr von der Demokratie abwenden, dann ist das Grundgesetz in Gefahr. Schlimmer noch: Der Sozial- und Bürgerrechts-Staat steht auf dem Spiel. Darum geht es und um Nichts weniger.

7. In den Petitionen werden immer wieder zwei große Fragen angesprochen: Die soziale Frage und die Gerechtigkeitsfrage. Beide liegen im Argen. Das ist die General-Botschaft, die hier zur Diskussion steht.

Wir können also heute den Petitionsausschuss und seine Arbeit würdigen. Aber es geht nicht nur um ihn oder nur nebenbei. Es geht um die Grundlinien der Bundespolitik im Spiegel der Bürgerinnen und Bürger.

8. Seismografen sollen helfen und Hinweise geben, bevor Katastrophen ausbrechen. Wir kennen das von Vulkanen oder Beben. Der Tsunami zum Jahreswechsel 2004/2005 ist uns schließlich allen noch gut in Erinnerung.

Wenn aber der Petitions-Ausschuss ein Seismograf sein soll, dann müssen wir seine Signale auch ernst nehmen. Ich entnehme dem Bericht: Er ist eine Vor-Warnung für einen sozialen Tsunami, hierzulande.

9. Es grummelt längst und allerorten. Und trotzdem führt der Bundestag immer wieder aufgeregte Debatten, die so lebensfremd sind, wie das viel zitierte Ungeheuer vom Loch Ness im Boulevard-Blätterwald.

Nehmen wir allein die Hartz-IV-Missbrauchs-Debatten. Ich kenne nur eine belastbare Untersuchung. Sie sagt: Der Sozial-Missbrauch durch Langzeitarbeitslose liegt deutlich unter 3 Prozent.

10. Aber um diese nicht einmal 3 Prozent kreist die Politik der großen Koalition. Nicht um die 97 Prozent, die trotz aller Sozial-Beschränkungen noch immer arbeitslos sind. Ich nenne das Politik-Missbrauch.

Vielleicht wenden sich deshalb so viele an den Petitions-Ausschuss. Aber noch mehr wenden sich ab. Jedes Klagen über den Aufwind der Neonazis bleibt brotlos, wenn wir nicht endlich darüber nachdenken.

11. Die Vorsitzende des Petitionsausschusses hat einen weiteren positiven Befund gewürdigt. Das praktische Petitionsrecht wurde ausgeweitet. Es kann per Internet und es kann massenhafter wahrgenommen werden.

Auch diese Einschätzung unterstütze ich. Aber auch hier sage ich: Verwechseln wir nicht den Baum mit dem Wald. Denn in Fragen direkter Demokratie ist Deutschland noch immer ein EU-Entwicklungsland.

12. Die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik können sich inzwischen zwar bequemer und umfassender über Missstände beschweren, aber sie haben kaum Rechte, ihre politischen Umstände mitzugestalten.

Rundherum haben Bürgerinnen und Bürger die Chance, ihr persönliches Votum abzugeben, zum Beispiel zur künftigen EU-Verfassung. Nur in Deutschland wähnt sich die „politische Klasse“ noch immer klüger.

13. Das ist vor-demokratisch. Und ich habe es hier schon mehrfach gesagt: Es gehört zur Negativ-Bilanz von Rot-Grün, dass dieses Manko zementiert wurde, anstatt endlich wirklich „mehr Demokratie“ zu wagen.

Gegen Demokratie-Verdruss hilft letztlich nur mehr Demokratie. Bürgerinnen und Bürger wollen ernst genommen werden. Die Realität ist anders: Sie werden als Souverän gehandelt und als Problem behandelt.

14. Ich habe eingangs gefragt, was uns der Jahresbericht des Petitions-Ausschusses wirklich sagt. Und meine Antwort ist: Er stellt der bundes-deutschen Politik einen gefährlichen Befund aus.

Schauen Sie sich allein die Wahlbeteiligungen an. Wahlen sind der Demokratie kleinste Übungen. Aber schon sie gelten für eine Mehrheit als brotlos. Das Grundgesetz läuft leer, wie eine lecke Wanne.

15. Wer allerdings dafür die Bürgerinnen und Bürger in Haftung nimmt, hat nichts verstanden. „Wählt euch doch einfach ein neues Volk“, hatte Bert Brecht der DDR-Regierung ins Stammbuch 1953 geschrieben.

Er würde es wieder schreiben. Und Heiner Müller resümierte nach 1990: „Wir stecken jetzt knietief im Kapitalismus!“ Lassen sie uns endlich darüber nachdenken. Der Petitions-Bericht liefert dazu genug Anlässe.

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