(openPR) In den letzten Tagen vermehrten sich die Diskussionen bzgl. des Unterschichtenproblems und der "Neuen Armut" in Deutschland. Sowohl Vertreter aus Politik und Sozialverbänden (Der Caritas-Verband erklärte, Hartz IV sei nicht schuld am Entstehen von... ) sind der Überzeugung, dass Hartz IV nicht dazu beigetragen hat, dass die Armut und die dadurch resultierende Unterschicht ( auch gerne Prekariat[ **1] genannt ) ein Hartz IV Problem sei.
Dazu berichtet allerdings Hans-Jürgen Villard vom Magdeburger Sozialamt:
"Die Menschen gehen nicht mehr zum Arzt, sie holen ihre Kinder nicht nach, sondern vor dem Mittagessen von der Kindertagesstätte ab, sie ziehen sich immer mehr zurück, auch, weil sie sich schämen. Hartz IV klingt in den Ohren Ostdeutscher viel schlimmer als Sozialhilfe." Quelle: n-tv [**2]
Dem ständigen - sich aus der Verantwortung stehlen - will der Sozialticker ein Ende setzen. An dieser Stelle veröffentlichen wir einen Leserbrief, stellvertretend für unzählige gleicher Schicksale in Deutschland, der zeigen soll, dass Hartz IV massgeblich an dieser Problematik beiträgt:
Der Staat und seine Fürsorgepflicht von U.R.(55 Jahre)
1. Mein Sohn beendete Ende Juli 2005 die Schule. Er war danach als Ausbildungssuchender bei der Arge gemeldet. Anfang August 05 bekam er den Bescheid, dass er ab Januar 06 seinen Wehrdienst leisten muss. Sein Sachbearbeiter bei der Arge meldete ihn sofort ab.
Die Folge: Für August bis Dezember 05 wurde das Kindergeld gestrichen. Gleichzeitig rechnete mir die Arge das Kindergeld als Einkommen von meinem ALG II Geld ab. Jedes Reden an die Verantwortlichen war wie ein Monolog an die Wand. Für mich ein minus in 5 Monaten: € 770,--.
2. Meine Tochter hat einen Minijob. Ihre Miete wird direkt von der Arge an den Vermieter überwiesen da sie Jugendlicher ist. Die Miete betrug € 250,--. Ohne Zwang fand sie eine Wohnung für € 185,--. Sie gab der guten Behörde ARGE bescheid. Im August 05 zog sie in diese neue Wohnung.
Nach zwei Monaten bekommt sie vom Vermieter eine Abmahnung mit sofortiger Kündigung, da ihre Miete von 2 Monaten aussteht. Von meinem ALG II Geld und mit Hilfe von Freunden gab ich ihr € 370,-- womit sie ihre Miete zahlte und die Kündigung abwendete. Auf der Behörde gab man zu, dass das Geld falsch an den Vorvermieter geleitet wurde. Mir sagte man, dass ich mir das Geld bei dem Vorvermieter selbst zurückholen soll. Zwecklos. In der ersten Woche im Dezember 05 bekam meine Tochter eine Räumungsklage, da für 3 Monate die Miete aussteht. Sie sprach bei der Behörde vor. Diese überwiesen sofort die ausstehenden Mieten. Der Vermieter zog seine Räumungsklage zurück. Eine Woche später bekam meine Tochter eine Rechnung vom Anwalt des Vermieters. Gerichts- und Anwaltkosten ca. € 1300,--. Die Behörde fühlt sich nicht zuständig. Für mich ein Minus von € 370,--. Für meine Tochter Schulden von € 1300,--.
3. Am 2. Januar 06 musste mein Sohn zum Bund. Sofort bekam ich nur noch die "HALBE Miete". Wohnt mein Sohn nicht mehr bei mir?
Ich bekomme € 621,-- im Monat. Die Miete € 460,-- + Strom € 65,-. Mir bleiben € 95,-- zum Leben? Mir fehlen bis zum Oktober € 2430,--
4. Anfang Juni 2006, kein Geld auf dem Konto. Ein paar Tage später bekam ich ein Brief von der ARGE. Ich wurde gesperrt. Nach dem Brief muss ich einen Neuantrag stellen mit der Auflage, das Vermögen meines Sohnes offen zu legen? Hat mein Sohn während seiner Wehrpflicht etwa ein Vermögen angehäuft?
Mit der Verdienstbescheinigung und den Kontoauszügen der letzten 3 Monate meines Sohnes ging ich zur ARGE. Eine andere Sachbearbeiterin schaut im Computer nach und findet nichts, weder vom Brief noch von den Forderungen. Nach längeren hin und her und einer halben Stunde Telefonat der Sachbearbeiterin bekomme ich einen Scheck mit der monatlichen Zahlung, € 621,--.
5. Ich redete mit meiner Sachbearbeiterin. Diese macht sich ein paar Notizen und kürzt mir das ALG II um 10% da ich kein Geld für schriftliche Bewerbungen hatte.
Mir bleiben € 6,-- im Monat zum Leben.
Mir wird jetzt noch mal um 30% gekürzt, da ich keine schriftliche Bewerbungen vorweisen kann. Die Sachbearbeiterin sagte, dass die Beträge für Bewerbungen im Unterhalt (€ 6,--) enthalten sind. Doch habe ich meiner Sachbearbeiterin eine Liste mit Firmennamen gegeben, mit denen ich telefoniert habe, um eine Anstellung zu bekommen. Der Sachbearbeiterin ist das "EGAL".
6. Ich habe mit dem Vorgesetzten der Sachbearbeiterin gesprochen. In den 10 Minuten des Gespräches sagte er mir 4mal, er schenke mir schon wieder 2 Minuten seiner Zeit!
Geändert hat sich nichts. Inzwischen habe ich die fristlose Kündigung meines Vermieters. Ich weis nicht mehr weiter. Mit 55 Jahre ist es fast unmöglich, Arbeit zu finden.
Jetzt bin ich soweit, mir einen Platz unter einer Brücke zu suchen. Oder noch Schlimmeres.
Das ist die Fürsorgepflicht unseres Staates.
Quelle: Leserbrief [**3]
Wer diese Zeilen liest, kann nicht ruhigen Gewissens behaupten, dass dies ein Einzelschicksal ist und ebenso wenig nicht eine Folge der Hartz IV Gesetzgebung und dem ständigen Druck von Verschärfungen und Diskriminierungsvorwürfen.
Müntefering wehrt sich also gegen die "Einteilung der Gesellschaft". Aber was tut er dagegen? Für die Arbeitslosen hat er einen prächtigen Rat auf Lager: "Ihr müsst Euch anstrengen. Ihr müsst auch die Jobs nehmen, die wir zur Verfügung stellen können." Nur zur Erinnerung: Nach den jüngsten Zahlen aus Nürnberg gibt es in Deutschland eine Arbeitslosenquote von mehr als 10 Prozent. Wie viele Jobs hat Müntefering diesen Menschen angeboten?
Gesellschaftliche Probleme werden individualisiert, also schiebt man den Arbeitslosen die Schuld und Verantwortung zu, denn das scheint die neue Fürsorgepflicht dieses Staates zu sein.
Linkverzeichnis:
[**1] http://www.sozialticker.com/der-sozialticker-klaert-auf-prekariat.html
[**2] http://www.n-tv.de/721707.html
[**3] http://www.sozialticker.com/hartz-iv-traegt-massgeblich-zur-armut-und-dem-unterschichtenproblem-bei.html
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