(openPR) Bei der zweiten Tagung der Marie-Luise und Ernst Becker Stiftung bündelten namhafte Referenten neueste Erkenntnisse der Alters- und Alternsforschung
„DEN Alten an sich gibt es nicht“, fasste Dr. Petra Becker die Aussagen der Referenten bei der zweiten Tagung der Marie Luise und Ernst Becker Stiftung am 18. und 19. April 2007 im Gustav Heinemann Haus in Bonn zusammen. „Wir haben gehört, dass Arbeits-, Leistungs- und Lernfähigkeit sowie Motivation individuell sehr verschieden sein können. Dies stellt vor dem Hintergrund des demographischen Wandels eine große Herausforderung an viele Unternehmen dar“, so die Tochter der Stiftungsgründer. Unter dem Motto „Vom Defizit- zum Kompetenzmodell – Stärken älterer Arbeitnehmer erkennen und fördern“ bündelten namhafte Redner aus Wissenschaft und Praxis im Rahmen der Tagung den aktuellen Wissensstand zu diesem Thema für ein interdisziplinäres Publikum aus etwa 120 Teilnehmern.
Eines ist nicht mehr wegzudiskutieren: Die Altersstruktur der Arbeitnehmer verschiebt sich immer weiter nach oben. „Im Jahre 2025 wird es in Europa etwa doppelt so viele ältere wie jüngere Arbeitnehmer geben“, so Prof. Dr. Juhani Ilmarinen vom Finnish Institute of Occupational Health in Helsinki. Vor diesem Hintergrund ist es besonders wichtig, die spezifischen Kompetenzen älterer Arbeitnehmer herauszustellen und geeignete Aufgabenfelder für sie zu finden. „Bei älteren Menschen ist ein Zuwachs an mentalen und sozialen Fähigkeiten zu verzeichnen“, zeigte der skandinavische Wissenschaftler auf. Hierzu gehören beispielsweise strategisches Denken, überlegtes Handeln, ein ganzheitliches Verständnis, ein differenzierterer Sprachgebrauch und mehr Arbeitserfahrung. „Das Problem besteht darin, dass die menschlichen Ressourcen durch Fehlbelastung und Unterforderung mit dem Alter abnehmen, die Arbeitsanforderungen aber gleich bleiben. Die Lösung: Eine Anpassung der Anforderungen und den Erhalt der menschlichen Ressourcen, beispielsweise durch betriebliche Gesundheitsförderung.“ Prof. Dr. Ilmarinen ist sich sicher: Ältere Menschen können ebenso lernen wie jüngere, allerdings ändern sich im Alter die Lernprozesse. „Wenn das Lernen in der beruflichen Praxis realisiert wird, können auch Ältere moderne Kommunikationstechnologien anwenden.“ Die Arbeitsfähigkeit lasse zwar gemeinhin mit dem Alter nach, man müsse sich aber die Frage stellen, ob dies an der Leistungsfähigkeit oder an der Arbeit selbst liege. Der finnische Arbeitswissenschaftler forderte langfristig Reformen und ein Umdenken innerhalb der Unternehmen: Hier müsse insbesondere bei Vorgesetzten und Managern angesetzt werden, da diese oft eine Vorbildfunktion innehaben.
„Fehlerrate bei Älteren ist wesentlich geringer“
„Die Ziele eines Arbeitnehmers und damit auch seine Arbeitsmotivation sind nicht von seinem Alter per se, sondern von seinem persönlichen Zeithorizont abhängig“, beleuchtete Prof. Dr. Guido Hertel vom Lehrstuhl für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Würzburg das Thema von der psychologischen Seite. So fand er heraus, dass emotionsbezogene Aspekte, wie beispielsweise Spaß und Freude an der Tätigkeit sowie Autonomie im Beruf, mit zunehmendem Alter wichtiger werden. „Außerdem steigt die Bereitschaft für prosoziale Ziele, wie zum Beispiel, Wissen an jüngere Kollegen weiterzugeben“, erklärte Prof. Dr. Hertel. Und das, weil der Arbeitnehmer weiß, dass er bald aus dem Unternehmen ausscheidet und sich im Laufe der Zeit die Prioritäten in seinem Leben verschoben haben.
Prof. Dr. Michael Falkenstein vom Institut für Arbeitsphysiologie in Dortmund betonte die besonderen Kompetenzen Älterer aus neuro-physiologischer Sicht: Mit Hilfe von Hirnstrommessungen fand er heraus, dass Ältere nicht langsamer als Jüngere sehen und denken, sondern dass sie hinsichtlich bestimmter Reaktionen vorsichtiger bei der motorischen Ausführung sind. „Und dies ist für viele Arbeitsaufgaben wesentlich, da hierdurch die Fehlerrate sinkt“, unterstrich der Forscher. Oftmals zeigten ältere Menschen unter realen Bedingungen im Vergleich mit Laborsituationen meist keine Defizite, weil sie diese durch ihre Erfahrung und Kompensation ausgleichen könnten.
Forderung nach einem intergenerationellen Wissenstransfer
Univ.-Prof. Dr. Frerich Frerichs vom Forschungszentrum Altern und Gesellschaft der Hochschule Vechta lieferte einen Lösungsansatz und forderte einen intergenerationellen Wissenstransfer in Unternehmen. Hierbei solle das Erfahrungswissen älterer auf jüngere Arbeitnehmer übertragen werden. „Außerdem sollte jedes Unternehmen eine positive Lernkultur und Weiterbildungsbereitschaft fördern, also Lernen zu einem Bestandteil des Arbeitsalltags machen.“
Prof. Dr. Christian Roßnagel vom Jacobs Center for Lifelong Learning and Institutional Development an der Jacobs University Bremen unterstrich die Wichtigkeit beruflicher Weiterbildung auch für ältere Arbeitnehmer. „Wenig bekannt ist aber insbesondere über altersabhängige Veränderungen der Lernkompetenz, was die Entwicklung von Maßnahmen zum Aufbau und den Erhalt der Lernkompetenz bei Älteren erschwert“, erklärt Prof. Dr. Roßnagel. Der Wissenschaftler schlägt ein Drei-Ebenen-Modell der Lernkompetenzen, in dem altersabhängige Veränderungen abgebildet werden können, vor. „Auf diese Weise lassen sich künftig konkrete Ansatzpunkte für Fördermaßnahmen schaffen.“
„Den Mitarbeiter fragen, wo es hingehen soll“
Der zweite Teil der Tagung beleuchtete daran anschließend Praxisbeispiele. Othmar Fahrion, Vertretungsberechtigter von Fahrion Engineering in Kornwestheim, zählt beispielsweise auf die Generation 50+: „Wir können heute viel mehr Aufträge annehmen und bearbeiten, und das ist alleine der Tatsache zu verdanken, dass wir unsere Teams umstrukturiert und über 50-Jährige eingestellt haben.“ Die Älteren besäßen viele Attribute, die einem Unternehmen zugute kämen. „Sie besitzen Eloquenz und Verhandlungsgeschick, sind sofort verfügbar, sind agil, reisewillig und weltoffen und haben keine Ambitionen zu Karrieresprüngen mehr“, so Fahrion. Letztendlich würde das Unternehmen wirtschaftlich profitieren: Jüngere müssten angelernt werden, und scheiden meist nach einiger Zeit wieder aus dem Unternehmen aus. Diese Gefahr ist bei Älteren in der Regel nicht gegeben.
Dass die Bereitschaft bei Arbeitnehmern, auch bis zum Eintritt in das Rentenalter aktiv zu sein, gegeben ist, unterstreicht auch André Schleiter von der Bertelsmann Stiftung in Gütersloh. „Die meisten könnten sich vorstellen, bis ins hohe Alter beruflich aktiv zu sein, allerdings nicht in der extremen Form wie in jungen Jahren.“
„Wichtig ist eine altersgerechte Führung“, konstatiert Agnes Joester von den Helvetia Versicherungen in St. Gallen. Das Schweizer Unternehmen führt seit einiger Zeit so genannte „Standortbestimmungen“ mit den Mitarbeitern durch. „In jeder Lebensdekade sollte man den Mitarbeiter eigentlich fragen, wo es hingehen soll“, so Joester. Denn jedes Lebensalter bringt auch unterschiedliche Ansprüche an die Tätigkeit mit sich, und diese gelte es, sich selbst und dem Unternehmen bewusst zu machen.
Fazit: Man kann nicht sagen, dass ältere Menschen schlechtere Arbeitnehmer sind. Sie bringen beispielsweise Erfahrungswissen mit und gleichen mögliche Defizite mit ihren spezifischen Kompetenzen wieder aus. Eine Herausforderung für Unternehmen wird es vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung in Zukunft zwangsläufig sein, dies auch im Bewusstsein aller Mitarbeiter zu verankern – teilweise auch im Bewusstsein der Älteren selbst. Einer der Ansatzpunkte sollten „Mehr-Generationen-Unternehmen“ sein, in denen jede Altersgruppe vom Wissen der anderen profitieren kann.
Marie-Luise und Ernst Becker Stiftung
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