(openPR) 01.02.2008 - BERLIN/ATHEN/BISSAU/LAUTERBACH - (Eigener Bericht von Anka Bastian und german foreign policy) - Mit einem einheitlichen EU-Grenzüberwachungssystem soll die von Berlin forcierte europäische Flüchtlingsabwehr perfektioniert werden. Dies bestätigte EU-Innenkommissar Franco Frattini am gestrigen Dienstag beim elften Europäischen Polizeikongress in der Bundeshauptstadt. Mit dem neuen System können nach Europa eingereiste Bürger von Nicht-EU-Staaten, die nicht pünktlich mit Ablauf
rtritte aus und nach Europa einheitlich erfassen. Das Zentralregister aller Ein- und Ausreisen über die EU-Außengrenzen ermöglicht ein hartes Vorgehen gegen Menschen, die nicht pünktlich mit Ablauf ihres Visums die EU verlassen. Auf diese Weise sollen Flüchtlinge, die mit einem Visum legal einreisen, am Verbleib gehindert werden: Sie können EU-weit zur Fahndung ausgeschrieben werden. Gleichlautende Überlegungen wurden bereits beim jüngsten Treffen der EU-Innen- und Justizminister angestellt; sie entsprechen der harten Linie der deutschen Migrationspolitik.[1] Wie Regierungspolitiker Sloweniens erklären, das gegenwärtig die EU-Ratspräsidentschaft innehat und im Rahmen einer 18 Monate währenden "Dreierpräsidentschaft" eng mit Berlin kooperiert, können die nötigen Beschlüsse noch in diesem Jahr gefällt werden.
Dublin II
Die Pläne zur Verschärfung der EU-weiten Jagd auf Migranten ergänzen das bestehende Migrationsregime, das Flüchtlinge in Deutschland bereits jetzt besonderem Druck aussetzt und sie in zunehmendem Umfang in die Randstaaten der EU drängt. Ursache ist die sogenannte Dublin-II-Verordnung, die vor fast fünf Jahren in Kraft getreten ist. Sie sieht vor, dass Flüchtlinge ihren Asylantrag in dem Staat stellen müssen, auf dessen Territorium sie in die EU eingereist sind.[2] Dabei handelt es sich nach Lage der Dinge vor allem um die südlichen und südöstlichen Mitgliedstaaten und deren vorgelagerte Inseln. Deutschland hingegen bleibt wegen seiner "Mittellage" weitgehend frei von unerwünschten Einwanderern: Weil jeder in Deutschland angetroffene Flüchtling, der nicht per Flugzeug eingereist ist, auf dem Landweg einen anderen EU-Staat gekreuzt hat und seinen Asylantrag deswegen außerhalb Deutschlands stellen muss, können missliebige Migranten fast uneingeschränkt abgeschoben werden. In den vergangenen Wochen traf dies vor allem Flüchtlinge aus der russischen Teilrepublik Tschetschenien, die nach der Ende 2007 erfolgten Aufhebung der deutsch-polnischen Grenzkontrollen in der Bundesrepublik Zuflucht suchten - vergeblich: Sie wurden sofort nach Polen zurückgeschickt. Allerdings zeigen inzwischen auch die deutsche Sondergesetzgebung für Asylsuchende sowie das deutsche Lagersystem abschreckende Wirkung.[3] Agenturen zufolge wird Deutschland "bei Schleusungen häufig nur noch als Transitland genutzt", weil sich "die Bedingungen für Flüchtlinge hierzulande verschlechtert" haben.[4]
Mehr Tote
Unmittelbare Folge der von Berlin befürworteten "Dublin-II-Verordnung" ist das Flüchtlingselend an den EU-Außengrenzen, das seit einigen Jahren eskaliert. Die Verordnung bürdet den europäischen Randstaaten die Hauptlast der deutschen Flüchtlingsabwehr auf und begünstigt damit deren Grenzabschottung. Von der Bundesrepublik forcierte Maßnahmen wie der Aufbau der sogenannten EU-Grenzschutzagentur Frontex führen inzwischen zu immer mehr Todesfällen im Atlantik und im Mittelmeer.[5] So teilte kürzlich das spanische Innenministerium mit, dank Frontex-Patrouillen vor den Küsten Marokkos, Mauretaniens, Senegals und der Kapverden seien im vergangenen Jahr nur noch 12.500 Flüchtlinge nach Spanien gelangt. Das sind rund 60 Prozent weniger als im Jahr zuvor. Mehr als 12.800 Einreisewillige habe man abdrängen können. Zugleich bestätigte Madrid, dass die Zahl der auf der Flucht umgekommenen Menschen 2007 erneut angestiegen ist. Denn wegen der Frontex-Patrouillen nutzen die Flüchtlinge jetzt immer gefährlichere Routen.[6]
Im Meer ausgesetzt
Manche weichen auch auf gänzlich andere Strecken aus. So wurden Anfang Januar mehrere Flüchtlinge aus Mauretanien vor der türkischen Westküste aufgegriffen. Sie waren in ihrem westafrikanischen Heimatland aufgebrochen, hatten ganz Nordafrika durchquert und schließlich versucht, über türkisches Territorium die EU zu erreichen. Die griechische Küstenwache hatte sie auf einer Ägäis-Insel aufgegriffen, in ein Schiff gezwungen und anschließend im Mittelmeer vor der Türkei ausgesetzt.[7] Es handelt sich nicht um einen Einzelfall. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl hat im Herbst die systematische Misshandlung von Migranten durch griechische Behörden dokumentiert. Pro Asyl zufolge bemüht sich die Küstenwache des EU-Mitgliedstaats regelmäßig, Flüchtlingsschiffe illegal und mit riskanten Manövern in Hoheitsgewässer der Türkei zurückzudrängen. Dabei nimmt sie Tote in Kauf. Gelegentlich setzt sie Flüchtlinge auch auf unbewohnten Inseln aus.[8]
Bis zum Äquator
Die inhumanen, absurden Züge des deutsch-europäischen Abschottungswahns treten inzwischen immer stärker hervor. Während Menschenrechtsorganisationen schon seit Jahren gegen die humanitäre Katastrophe an den südeuropäischen Seegrenzen protestieren, dehnt die EU das Einsatzgebiet ihrer Flüchtlingsabwehrtrupps immer weiter nach Süden aus. An diesem Wochenende bereiste der spanische Außenminister Miguel Ángel Moratinos den westafrikanischen Kleinstaat Guinea-Bissau. Das Land ist eines der ärmsten der Welt, zwei Drittel seiner Bevölkerung leben in absoluter Armut. Jedes vierte Kind stirbt, bevor es das fünfte Lebensjahr erreicht. Für Berlin besaß Guinea-Bissau bislang praktisch keinerlei Bedeutung und wurde mit Minenräumkommandos, Kleinstprojekten und einer einmaligen Medikamentenspende gegen eine Cholera-Epidemie im Jahr 2005 (Wert: 13.000 Euro) abgespeist. Das bislang fehlende Interesse stellt sich nun ein - wegen des Wunsches, auch noch den letzten Flüchtling an der Einreise in die EU zu hindern. Der spanische Außenminister Moratinos handelte am Wochenende nicht nur die Erlaubnis zur Abschiebung mehrerer Tausend Migranten von europäischem Territorium nach Guinea-Bissau aus, er erhielt auch die Zusage, das Land werde seine Hoheitsgewässer für Frontex öffnen.[9] Damit nähert sich die Flüchtlingsjagd der EU dem Äquator. Guinea-Bissau liegt bereits auf halbem Weg zwischen dem Südwestzipfel des europäischen Kontinents und der Küste Brasiliens.
304 auf Zeit
Wie Flüchtlingsjagd und Migrationsregime vermuten lassen, kann das Bundesinnenministerium in Berlin neue Rekorde bei der Abwehr ökonomisch nicht nutzbarer Migranten vermelden. Das Haus teilt mit, dass die Zahl der im vergangenen Jahr gestellten Asylanträge erstmals wieder die Zahl 20.000 unterschritten und damit das Niveau von 1977 erreicht hat; offenbar sind die Grenzen Europas inzwischen undurchdringlicher als während der Endphase des Systemkonflikts ("Eiserner Vorhang"). Ohne die Verdoppelung der irakischen Kriegsflüchtlinge auf rund 4.300 Personen läge die Zahl noch deutlich niedriger. Asylanträge irakischer Flüchtlinge jedoch erreichen in Deutschland eine der höchsten Anerkennungsquoten: 1,6 Prozent von ihnen werden genehmigt. Von der Gesamtheit aller Anträge überhaupt, die das zuständige Bundesamt im letzten Jahr bearbeitete, führten nur 1,1 Prozent zum Erfolg. Alles in allem erhielten im Jahr 2007 genau 304 Personen in Deutschland Asyl. Allerdings nur auf Zeit: Der Asylstatus wird zunächst nur befristet gewährt.