(openPR) BGH entscheidet erneut zum LKW-Kartell – auch mittelbare Erwerbsvorgänge kartellbetroffen!
Hamburg, 14.04.2021 – Der Bundesgerichtshof hat gestern in den Verfahren KZR 19/20 und 20/20 über die Revision der Daimler AG gegen die Urteile des OLG Schleswig vom 17.02.2020 (16 U 43/19 u. 16 U 110/19), welche erst- und zweitinstanzlich von der Korten Rechtsanwälte AG erstritten wurden, verhandelt. Nach dem der BGH bereits im Rahmen seiner ersten Entscheidung zum LKW-Kartell (KZR 35/19) vom 23.09.2020 zu Gunsten der Erwerberseite festgestellt hat, dass sämtliche Erwerbsvorgänge, die im Kartellzeitraum erworben wurden, kartellbetroffen sind, hat er nunmehr mitgeteilt, dass dies auch für mittelbare Erwerbe, also auch solche Erwerbsvorgänge erfasst sind, die nicht unmittelbar von den Kartellanten bezogen wurden, gelte.
Die LKW-Hersteller DAF, Daimler, IVECO, MAN, Volvo und Renault haben u.a. Bruttolistenpreise und Bruttolistenpreiserhöhungen ausgetauscht und abgestimmt, so dass eine tatsächliche Vermutung dafür besteht, dass dies zu höheren Erwerbspreisen geführt hat, da ein vom BGH anerkannter Erfahrungssatz besteht, dass die langjährige und nachhaltige Durchführung eines Kartells häufig zu überhöhten Kosten für die betroffenen Kunden führt. Diesen Grundsatz hat der BGH im Schienenkartell II Urteil vom 28.01.2020 (KZR 24/17) bestätigt und dieser ist im Rahmen der 9. GWB-Novelle in § 33a Abs. 2 S. 1 GWB nunmehr auch gesetzlich statuiert. Die Klägerin in dem Verfahren KZR 19/20 ist ein Baustoffunternehmen, welches zwei Fahrzeuge von Daimler und eines von MAN erworben hat. In den Parallelverfahren KZR 20/20 hat ein Transportunternehmen drei Fahrzeuge von Daimler und sechs von DAF gekauft.
OLG Schleswig verurteilt die Daimler AG zum Schadensersatz dem Grunde nach
Nachdem bereits das Landgericht Kiel den Klagen in erster Instanz dem Grunde nach stattgegeben hat, hat das OLG Schleswig die Grundurteile aufrechterhalten und die Berufungen der Daimler AG abgewiesen. Das OLG Schleswig hat aus der Kommissionsentscheidung (AT.39824 – Trucks) vom 19.07.2016 ein Hardcorepreiskartell abgeleitet und festgestellt, dass ein wirtschaftliche Erfahrungssatz gilt, dass ein Kartell gebildet und erhalten wird, weil es höhere als am Markt erzielbare Preise erbringt.
Der BGH stellt auch die Kartellbetroffenheit von mittelbaren Erwerben fest
Besonders bemerkenswert ist die Einschätzung des BGH, da er die Kartellbetroffenheit auch bei mittelbaren Erwerben, also von konzernunabhängigen Händlern, bejaht. Im Rahmen des LKW-Kartell-I-Urteils hat sich der BGH ausschließlich mit direkten Erwerbern von den Kartell-Mitgliedern beschäftigt. Legt man den Rechtsgedanken des BGH zugrunde, dürften daher auch sämtliche Leasingfahrzeuge kartellbetroffen sein.
Der Kartellsenat ist in seiner Entscheidung der Argumentation der Korten Rechtsanwälte AG gefolgt, dass die Wettbewerbsverstöße der Kartell-Mitglieder bzgl. der Bruttolistenpreise sämtliche Erwerbsvorgänge von schweren und mittelschweren LKW im Europäischen Wirtschaftsraum im Kartellzeitraum umfasst haben, da die Bruttolistenpreise der Ausgangspunkt für sämtliche Preisfestsetzungen gewesen sind. Der Vorsitzende des Kartellsenats, Prof. Dr. Meier-Beck, führte aus, dass eine vollständige Reduzierung einer etwaigen Overcharge durch konzerneigene Vertriebstöchter, aber auch durch konzernunabhängige Dritte, zu Lasten der eigenen Marge nicht plausibel sei, so dass das Ausgangsniveau für die Preisverhandlungen unabhängig von der Marktstufe erhöht sein kann.
Welche Rolle spielen Regressionsanalysen?
Der Kartellsenat teilte mit, dass eine Regressionsanalyse, soweit sie lege artis erstellt wurde, grundsätzlich ein adäquates Instrument zur Bestimmung einer kartellbedingten Overcharge darstellen kann. Im vorliegenden Verfahren haben sowohl die Klägerinnen als auch die Kartellanten jeweils Regressionsanalysen vorgelegt. Die Regressionsanalyse der Klägerinnen stellt auf den Erzeugerpreisindex für die Herstellung von Karosserien, Aufbauten und Anhängern für LKW von Eurostat ab, die Kartellanten legten konzerneigene Kostendaten zu Grunde. Die jeweiligen Parteigutachten und deren Schlussfolgerungen waren in den ersten beiden Instanzen prozessual höchst streitig. Prof. Dr. Meier-Beck bezeichnete die Würdigung der Regressionsanalysen als Gretchenfrage in den vorliegenden Verfahren. Im Ergebnis scheint das OLG Schleswig die Regressionsanalyse der Kartellanten nach vorläufiger Einschätzung des Kartellsenats nicht ausreichend bzw. nicht korrekt gewürdigt zu haben, so dass die Gesamtabwägung rechtsfehlerhaft gewesen sein dürfte. Es bleibt die Urteilsbegründung abzuwarten.
Der Direktor des Bundeskartellamts, Jörg Nothdurft, teilte im Rahmen seiner Anhörung mit, dass nicht ersichtlich sei, dass es sich, wie die Kartellanten vortragen lassen, um einen untauglichen Versuch gehandelt habe.
Ansprüche nicht verjährt
Nachdem der BGH durch Lkw-Kartell I entschieden hatte, dass die Hemmung der Verjährung bereits mit den Durchsuchungen im Januar 2011 gehemmt gewesen ist, folgt der BGH auch den weiteren Ausführungen der Korten Rechtsanwälte AG zur Verjährung. Die Hemmung der Verjährung endete somit frühestens am 19.03.2017, also 6 Monate nach der Beendigung des Settlement-Verfahrens zzgl. einer zweimonatigen Rechtsmittelfrist.
Rechtsanwalt Jan-Philippe von Hagen, der an der Verhandlung teilgenommen hat und die Klägerinnen in den ersten beiden Instanzen erfolgreich vertreten hat, sagt dazu: „Im Ergebnis hat der BGH zwar erneut ein stattgebendes Grundurteil aufgehoben und an das OLG Schleswig zurückverwiesen. Im Rahmen der Einführung in den Sach- und Streitstand hat der BGH jedoch klar zu erkennen gegeben, dass auch mittelbare Erwerbsvorgänge, also solche auf der nächsten Marktstufe, kartellbetroffen sind. Der Kartellsenat hat in der mündlichen Verhandlung am 13.04.2021 lediglich die Würdigung der Regressionsanalyse durch das Berufungsgericht kritisch hinterfragt und scheint zu dem Schluss gekommen zu sein, dass das OLG Schleswig die Regressionsanalysen der Kartellanten nicht zutreffend gewürdigt habe. Wir müssen nun die Entscheidungsgründe abwarten, aber es steht bereits jetzt fest, dass die Annahme der Kartellbetroffenheit auch bei mittelbaren Erwerben und die Ablehnung der Verjährung die Position der Erwerberseite maßgeblich stärkt. “