(openPR) Sofern man sich näher mit den Fragen des sog. mündigen Patienten auseinanderzusetzen gedenkt, scheint der ehrwürdige Philosoph Immanuel Kant stets allgegenwärtig zu sein.
Nach Kant ist die Unmündigkeit gleichsam als das „Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung einer anderen zu bedienen“ definiert, so dass im Umkehrschluss hieraus die These gefolgert wird, dass Wissen eine Voraussetzung der Mündigkeit sei. Unterstellen wir die Richtigkeit dieser Annahme, dann ist es wohl nicht gut um die Mündigkeit der Patienten bestellt. Einer aktuellen Studie zufolge mangelt es den Patienten bedenklich an medizinischen Kenntnissen, also an Wissen.
Quelle: Ärztliche Praxis (11.06.07) >>> http://www.aerztlichepraxis.de/artikel_homepage_aktuell_patienten_1181554608.htm
Was aber soll hieraus folgen?
In einer Pressemitteilung vom 05.06.07 haben wir auf einen aktuellen Beitrag von Prof. H.H. Büttner über den „mündigen Patienten“ im Ärzteblatt Mecklenburg-Vorpommern (5/2007, S. 152 ff.) berichtet >>> http://www.openpr.de/news/139140/Der-Arzt-eine-Quelle-der-Muendigkeit-fuer-den-muendigen-Patienten.html
Es drängt sich gelegentlich der Eindruck auf, dass mit der Kantschen Formel von der Unmündigkeit gerade in der Medizin der Versuch unternommen wird, die an sich überwundene paternalistische Arzt-Patienten-Beziehung zu reaktivieren. Mal ganz abgesehen davon, dass der Begriff der Mündigkeit nicht nur philosophisch besetzt ist, ist der Arzt verpflichtet, den Patienten vor einem diagnostischen oder therapeutischen Eingriff vollumfänglich aufzuklären. Mithin ist der Arzt vertraglich als auch deliktsrechtlich verpflichtet, sein „Wissen“ um und über die Krankheit seines Patienten an diesen punktuell zu vermitteln, damit der Patient eine eigenverantwortliche Entscheidung treffen und damit eine Einwilligung in die angedachte Therapie Entscheidung erteilen kann. Von daher ist es nicht erforderlich, die Kenntnis von medizinischem Grundwissen als eine notwendige Bedingung für die Mündigkeit (!) eines Patienten vorauszusetzen, denn die Arzt-Patienten-Beziehung bleibt zuvörderst eine Expertenbeziehung, freilich mit den umfangreichen Aufklärungspflichten des Arztes. Würde es also nach Kant gehen, hätten wir nahezu in allen Bereichen den unmündigen Bürger zu beklagen. Selbst mit Blick auf die gewählten Repräsentanten in einem demokratischen Gemeinwesen müssten wir zwangsläufig zum Ergebnis kommen, dass wir den Entscheidungen unmündiger Politiker ausgesetzt sind, denn diese bedienen sich in aller Regel für die komplexen Fragen etwa der Gesundheits- oder Pflegereform einer professioneller Expertise und sachverständigen Rates. Auch hier wird nicht selten nicht vorhandenes Wissen auf den Politiker transportiert, wobei die politische Verantwortung für die Sachentscheidung dann freilich von den Politikern zu verantworten ist. Nichts anderes gilt für die Arzt-Patienten-Beziehung, denn auch hier soll der mündige Patient nach entsprechender Aufklärung in einen ärztlichen Heileingriff einwilligen. Wo eine entsprechende Informationsbasis fehlt oder hierauf in zulässiger Weise verzichtet wird, sind allerdings Fehlentscheidungen nicht ausgeschlossen. Dies gilt gleichermaßen für den Patienten wie für den Politiker – nur mit einem Unterschied: Während der Politiker nur die politische Verantwortung trägt, kann demgegenüber der Arzt mit dem vollen Haftungsrisiko einschließlich einer möglichen Strafbarkeit seines Handelns belastet werden.
Lutz Barth