(openPR) Die aktuelle Empfehlung der Ständigen Impfkommission, die Impfung gegen den Humanen Papillom Virus (HPV) als Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) anzuerkennen, wird von der Pharma-Industrie, Ärzteverbänden und auch Krankenkassen entschieden begrüßt. Auf vielen Tagungen wird die HPV-Impfung als "Durchbruch in der Krebs-Prävention" propagiert. Dass hier viel Augenwischerei am Werk ist, zeigt Rolf Rosenbrock, Professor für Gesundheitspolitik an der TU Berlin und seit 1999 Mitglied im Sachverständigenrat im Gesundheitswesen, in einem Aufsatz auf.
Er weist einerseits darauf hin, dass das Cervix Carcinom in Deutschland lediglich 3,16 % der Krebs-Inzidenz bei Frauen und 1,76% der Krebsmortalität bei Frauen erklärt, so dass schon aufgrund dieser quantitativ geringen Bedeutung keine Rede sein kann von einem Durchbruch in der Krebsprävention. Der Wissenschaftler setzt sich darüber hinaus jedoch auch kritisch mit der Praxis der Früherkennung in Deutschland auseinander: "Durchbruch in der Krebsprävention", so Rosenbrock, "stimmt auch deshalb nicht, weil die Impfstrategie nicht weit trägt: von den häufigeren Karzinomen weist wohl keines eine Virusinfektion als notwendige Bedingung auf. Einem 'Durchbruch in der Krebsprävention' könnte man sehr viel näher kommen, wenn modernere Ansätze lebensweltbezogener Prävention, mit denen das Verhalten und die hinter dem Verhalten stehenden Faktoren im Hinblick auf Ernährung, Stressbewältigung, Bewegung und Rauchen in großem Umfang umgesetzt würden. Schließlich erklären sich 30% der Inzidenz aller Krebsarten aus diesen Faktoren."
In diesem Zusammenhang wird auch darauf hingewiesen, dass die Maßnahmen zur Erhöhung der Teilnahmequote an Früherkennungsuntersuchungen in Deutschland hinter dem zurückbleiben, was sich in anderen Ländern als überaus erfolgreich erwiesen hat: Systeme mit persönlicher Einladung und persönlicher Erinnerung oder eben auch zugehende Versorgung in sozialen Brennpunkten, wie z. B. durch Health Visitors ins Großbritannien. Der in Deutschland durch die Gesundheitsreform geplante Weg einer späteren finanziellen Sanktionierung von Patienten, die nicht an Früherkennung teilgenommen haben, sei weder durch Forschungsergebnisse belegt, noch sei er geeignet, jene Gruppen in der Bevölkerung zu erreichen, die die größten Erkrankungsrisiken aufweisen: Angehörige unterer Sozialschichten.
Da die Durchimpfung eines Mädchenjahrgangs in Deutschland (ca. 400.000 Betroffene) etwa 200 Millionen Euro kosten würde, setzt sich der Wissenschaftler auch mit der Frage auseinander, ob es für diese Mittel nicht sinnvollere und effizientere Einsatzmöglichkeiten zur Krankheitsverhütung gäbe: "Stellt man sich die - aus Systemsicht bereits stark eingeengte - Frage, wo und wie mit 200 Mio. Euro für die Krebsprävention die größte gesundheitliche Wirkung zu erzielen wäre, dann hätte die HPV-Impfung wahrscheinlich keinen guten Stand. Es böte sich vielmehr an, zunächst die Früherkennung auf Cervix Ca in ihrer Reichweite und Qualität zu verbessern (die Krankheit kann - theoretisch - zu mehr als 90% durch Früherkennung verhindert werden) und - da dies gewiss keine 200 Millionen Euro kosten würde - das restliche Geld in partizipativ gestaltete Setting-Projekte in sozial benachteiligten Orten bzw. Stadtteilen bzw. Schulen zu stecken. Dies freilich würde einen Grad an Rationalität bedeuten, den Gesundheitspolitik in der Regel nicht aufweist. Gegen die Koalition aus Pharma-Industrie und impfbereiten Ärzten, getragen von der großen und breiten Sympathie für die Impfung als individuelle, passive Prävention durch ärztliches Handeln, haben Konzepte wie das hier vorgetragene regelmäßig eine nur geringe Chance."
Weitere Informationen und Download des kompletten Aufsatzes:
http://www.forum-gesundheitspolitik.de/dossier/index501.htm