(openPR) Ratzeburg. Zum europaweiten Protesttag zur Gleichstellung von behinderten Menschen am 5. Mai werden auch in Ratzeburg erstmals Aktionen stattfinden. Initiatoren sind die engagierten Mitglieder der Aids- und Behindertenselbsthilfegruppe Giesensdorf. Mit einem Satz kann deren Sprecherin Angelika Mincke formulieren, woran es auch im dritten Jahr des Behindertengleichstellungsgesetzes noch hapert: „Solange es im Sprachgebrauch noch eine Gruppe von Menschen gibt, die als nicht behindert gilt und es eine andere Gruppe gibt, die als behindert bezeichnet wird, verkörpert dies Diskriminierung und Ausgrenzung.“
Jeder, der auf Hindernisse in seinem Leben stoße, werde behindert und sei dadurch behindert, so die Rollstuhlfahrerin. Manchmal resultiere dieses Hindernis aus fehlender Information. Ein Umstand also, der sich relativ einfach beheben lässt. So hat Angelika Mincke vor einigen Jahren eine kleine Ausflugsagentur gegründet, die sich auf Hamburgbesucher mit Handicap spezialisiert hat, denn „wer versteht besser, was es bedeutet, behindert zu sein, wenn nicht ein Behinderter selbst?“
Immerhin nahezu jeder zehnte Bürger Deutschlands ist nach herkömmlicher Definition körperlich, seelisch oder geistig behindert. Im Sozialgesetzbuch wird diese Gruppe definiert als Menschen, deren „körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.“ Genau diese „Teilhabe“ ist es, die beim europäischen Protesttag gefordert wird. „Wir wollen uneingeschränkt am Leben teilhaben“, bringt es Angelika Mincke auf den Punkt.
Beim Anspruch an Mobilität etwa, dem wichtigsten Punkt für ein selbstbestimmtes Leben, gebe es beispielsweise bei öffentlichen Verkehrsmitteln wie Bus, Bahn, Schiff oder Flugzeug noch viele Hindernisse. Der Faden spannt sich weiter von der Suche nach der passenden Wohnung bis hin zum Urlaub in Hotels mit entsprechender Ausstattung. Sogar die medizinische Versorgung würde oft erschwert, erzählt Angelika Mincke Erfahrungen aus ihrer Selbsthilfegruppe: „Wir dürfen unsere Anbieter von Hygieneartikel noch nicht einmal selbst aussuchen, sondern wir müssen unsere Inkontinenzprobleme mit einem Callcenter besprechen.“
Auch die Deutsche Behindertenhilfe sagt auf ihrer Internetseite „die gesellschafter.de“: „Behinderung ist also nicht in erster Linie ein medizinisches Phänomen, sondern ein soziales.“ Diese Organisation kreidet beispielsweise an, dass „behindert“ oft mit „krank“ assoziiert werde. Auch ist der Ausdruck „behindertengerecht“ oftmals zu grob gefasst: Was einem Rollstuhlfahrer nützt, hilft einem Blinden mitunter gar nicht, was ein Gehörloser braucht ist etwas anderes als ein Mensch mit Lernschwierigkeiten.
Aber selbst gesetzliche Regelungen wie etwa das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG), das Sozialgesetzbuch oder die UN-Konvention, die fordert, dass Menschen wegen ihrer Behinderung nicht diskriminiert werden können, reichen nach Meinung der Organisatoren des Protesttages nicht aus. Die Folgen: Je nach Bundesland gelten unterschiedliche Regelungen, Ärzte und Krankenkassen sind mitunter überfordert und können nicht adäquat beraten, Anträge, etwa für barrierefreie Wohnungen, für Leistungen nach dem SGB und Hilfsmittel benötigen in manchen Fällen zwei bis drei Jahre, bis sie entschieden werden.
Hier fordert die Aids- und Behindertenselbsthilfe auch Hilfen vor Ort: „Leider haben wir noch nicht das Zeitalter erreicht, wo in jeder Stadt und Kommune Menschen mit Behinderungen durch einen Behindertenbeauftragten vertreten werden“, bemängelt Angelika Mincke. Eine gesetzliche Grundlage fehlt in einigen Bundesländern wie in Schleswig-Holstein. Und obwohl die Behindertenbeauftragten auch ehrenamtlich tätig werden möchten, wehren sich einige Städte dagegen – so auch Ratzeburg.
Die Akzeptanz durch die Bevölkerung und Händler in der Stadt ist dagegen groß. So werden am 5. Mai beispielsweise in den Läden der großen Einzelhändler Einkaufshilfe für behinderte Menschen bereitstehen. Sie sollen Menschen zur Seite stehen, die Probleme beim Einkaufen haben und können an den Infotheken angefordert werden.
In vielen Restaurants wird es Speisekarten für Sehbehinderte geben, die nach speziellen Vorgaben gestaltet wurden und auch nach dem Aktionstag weiterhin genutzt werden können. „Viele Geschäfte und Läden bieten diese Hilfen schon länger an, es ist nur noch nicht so bekannt“, bemerkte Angelika Mincke.
Zum Aktionstag stehen von 12 bis 16 Uhr Infostände in der Stadt und Aktionen werden veranstaltet. So kann man beispielsweise Ratzeburg im Rollstuhl erleben, den Behindertenführerschein machen oder mithelfen, einen Barrierefriedhof zu bauen. In dieser Zeit gibt es kleine Preise und es können viele Informationen gesammelt werden. Zudem findet von 16 bis 18 Uhr eine Kundgebung vor dem Rathaus in Ratzeburg statt, bei der die Bürger selbst zur Sprache kommen. „Nach einer kurzen Zeitreise werden wir dann gemeinsam den Barrierefriedhof barrierefrei machen“, verspricht Angelika Mincke geheimnisvoll weitere spannende Aktionen.