openPR Recherche & Suche
Presseinformation

Patientenverfügung darf nicht durch Gewissensklausel im Heimvertrag außer Kraft gesetzt werden

21.07.201111:11 UhrGesundheit & Medizin

(openPR) Neuss, den 20.07.2011 - Nach den seit dem 01.09.2009 neugefassten Vorschriften im Betreuungsrecht (§ 1901a ff. Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) hat jeder einwilligungsfähige Volljährige die Möglichkeit, mittels einer schriftlich abgefassten Patientenverfügung zu bestimmen, dass im Falle einer exakt festgelegten Lebenssituation bestimmte (in der Regel lebensverlängernde) Maßnahmen, wie z.B. die Zuführung von Nahrung und Flüssigkeit mittels Magensonde (PEG) oder die künstliche Beatmung, zu unterbleiben haben. Insoweit gibt es auch keine Einschränkungen dergestalt, dass solche Unterlassungen nur dann gerechtfertigt sind, wenn sich der Betroffene im Sterbeprozess befindet (sog. Reichweitenbegrenzung). Letztlich darf auch niemand zur Errichtung einer Patientenverfügung verpflichtet oder die Errichtung oder Vorlage einer Patientenverfügung zur Bedingung eines Vertragsschlusses gemacht werden. Im Umkehrschluss bedeutet das auch, dass niemand verpflichtet werden kann, von der Errichtung einer Patientenverfügung oder bestimmten Festlegungen hinsichtlich Behandlungsabbruch abzusehen. Der Gesetzgeber hat mit den neuen Regelungen eine eindeutige Rechtslage geschaffen mit der Folge, dass sich auch bei der Behandlung, Pflege und Betreuung von Heimbewohnern uneingeschränkte Pflichten dahingehend ergeben, eine wirksam errichtete Patientenverfügungen zu respektieren und ihre Durchsetzung zu gewährleisten.



Mit Gewissensklauseln darf die Rechtslage nicht verändert werden.

Es hat nicht an Versuchen gefehlt, die durch den Gesetzgeber geschaffene Rechtslage als mit dem Lebensschutz nicht vereinbar hinzustellen. Vor allem sind seit dem Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 25.06.2010 - 2 StR 454/09 - immer wieder Rufe laut geworden, die neuen Vorschiften im BGB im Sinne einer vermeintlichen Stärkung des Lebensschutzes zu korrigieren und die Verfügungskompetenzen Volljähriger hinsichtlich der Unterlassung bzw. des Abbruches von Behandlungs- und Pflegemaßnahmen einzuschränken.

Solche Erwägungen haben einen Heimträger bewogen, dem rechtlichen Betreuer einer Bewohnerin eine Nebenabrede zum Heimvertrag abzuverlangen. Der diesbezügliche Text (verkürzt und anonymisiert):

„Zwischen der Pflegeeinrichtung X und Frau Y wird der Heimvertrag in § 11 wie folgt ergänzt:

Das Heim und dessen Mitarbeiter haben die sittliche Überzeugung, dass die Verpflichtung besteht, Leben zu schützen und zu pflegen. Der Bewohner oder sein rechtlicher Vertreter wird vom Heim und seinen Mitarbeitern daher ein Vorenthalten von Nahrung und Flüssigkeit nicht verlangen, auch wenn eine entsprechende Patientenverfügung oder ein entsprechender mutmaßlicher Wille vorliegt. Sollte der Bewohner oder sein rechtlicher Vertreter daher beabsichtigen, das Leben des Bewohners durch Nahrungs- und Flüssigkeitsentzug zu beenden, verpflichtet er sich, den Heimvertrag zu kündigen und die beabsichtigte Maßnahmen in einer damit vertrauten Institution (Hospiz o.ä.) oder zu Hause durchzuführen.“

Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk hat daraufhin die Frage, ob und inwieweit solche Nebenabreden zulässig sind, geprüft und folgende Beurteilung vorgenommen:

Der rechtliche Betreuer (bzw. Bevollmächtigte) hat dem Patientenwillen Ausdruck und Geltung zu verschaffen (§ 1901a BGB). Dies auch dann, wenn es z.B. um einen Behandlungsabbruch bzw. das Vorenthalten von Nahrung und Flüssigkeit geht. Der Heimträger bzw. die Führungsverantwortlichen sind in der Pflicht, die Patientenautonomie zu achten (siehe auch die „Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“). Es kann unter diesen Umständen keine Veranlassung gesehen werden, die gewünschte Vertragsänderung als zulässige Ergänzung des Heimvertrages anzusehen. Im Übrigen sind die Gründe, aus denen ein Heimvertrag beendet werden darf und kann, im Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) abschließend geregelt. Dies ist zwingendes Recht, so dass ein zusätzlicher Beendigungstatbestand nicht durch eine Nebenabrede im Heimvertrag – als sog. „Gewissensklausel“ - geschaffen werden kann.

Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk hat - unabhängig von der eigenen Einschätzung - die Projektleitung „Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG)“ bei der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) mit der Angelegenheit befassen können. Es hat daraufhin eine juristische Prüfung und eine Abmahnung gegenüber der Einrichtung gegeben mit der Folge, dass die hier angesprochene Pflegeeinrichtung am 14.07.2011 die nachfolgende Unterlassungserklärung abgegeben hat (anonymisiert und auszugsweise zitiert):

„Hiermit verpflichtet sich der/die Unterzeichnende … in Bezug auf Verträge über vollstationäre Pflege, dort in Regelungen zur Patientenverfügung, zur Beachtung des Patientenwillens und zur Umsetzung dieses Willens durch Betreuer bzw. Bevollmächtigte, die Verwendung folgender und diesen inhaltsgleichen Klauseln zu unterlassen:“

1. „Der/die Bewohner(in) oder sein(e) rechtlichen Vertreter(in) wird vom Heim und seinen Mitarbeitern (…) ein Vorenthalten von Nahrung und Flüssigkeit nicht verlangen, auch wenn eine entsprechende Patientenverfügung oder ein entsprechender mutmaßlicher Wille vorliegt. Sollte der/die Bewohner(in) oder sein/ihr rechtlicher Vertreter(in) daher beabsichtigten, das Leben des/der Bewohners/in durch Nahrungs- und Flüssigkeitsentzug zu beenden, verpflichten er/sie sich, den Heimvertrag zu kündigen (…)“
oder
2. „Dies wiederum kann dazu führen, dass im Einzelfall ein verlangter Abbruch pflegerischer Behandlungen nicht vorgenommen werden kann.“

Mit dieser Erklärung hat sich die vom vzbv abgemahnte Einrichtung verpflichtet, künftig die Verwendung von Vertragsklauseln zu unterlassen, die den ausdrücklichen oder mutmaßlichen Patientenwillen im Hinblick auf lebenserhaltende Maßnahmen missachten oder ein eigenes Entscheidungsrecht der Einrichtung im Hinblick auf die Erforderlichkeit solcher Maßnahmen vorsehen.

Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk sieht sich in seiner Rechtseinschätzung bestärkt und begrüßt die zusätzliche Klarstellung durch den vzbv.

Werner Schell
Dozent für Pflegerecht und Vorstand von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk

Diese Pressemeldung wurde auf openPR veröffentlicht.

Verantwortlich für diese Pressemeldung:

News-ID: 556150
 2005

Kostenlose Online PR für alle

Jetzt Ihren Pressetext mit einem Klick auf openPR veröffentlichen

Jetzt gratis starten

Pressebericht „Patientenverfügung darf nicht durch Gewissensklausel im Heimvertrag außer Kraft gesetzt werden“ bearbeiten oder mit dem "Super-PR-Sparpaket" stark hervorheben, zielgerichtet an Journalisten & Top50 Online-Portale verbreiten:

PM löschen PM ändern
Disclaimer: Für den obigen Pressetext inkl. etwaiger Bilder/ Videos ist ausschließlich der im Text angegebene Kontakt verantwortlich. Der Webseitenanbieter distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten Dritter und macht sich diese nicht zu eigen. Wenn Sie die obigen Informationen redaktionell nutzen möchten, so wenden Sie sich bitte an den obigen Pressekontakt. Bei einer Veröffentlichung bitten wir um ein Belegexemplar oder Quellenennung der URL.

Pressemitteilungen KOSTENLOS veröffentlichen und verbreiten mit openPR

Stellen Sie Ihre Medienmitteilung jetzt hier ein!

Jetzt gratis starten

Weitere Mitteilungen von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk

Kommunale Quartiershilfen, generationenübergreifend gestaltet, müssen das Pflegeversicherungssystem ergänzen
Kommunale Quartiershilfen, generationenübergreifend gestaltet, müssen das Pflegeversicherungssystem ergänzen
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk hat sich in einem Brief vom 29.08.2016 an den Deutschen Bundestag gewandt und Korrekturen des vorgelegten Gesetzentwurfs für ein Pflegestärkungsgesetz (PSG) III gefordert. Mit dieser Zuschrift wird verdeutlicht, dass mehr Pflegeberatung im Sinne des vorliegenden Gesetzentwurfes für ein PSG III nicht erforderlich ist. Pflegeberatung ist bereits jetzt den Pflegekassen als Pflichtleistung auferlegt und bedarf keiner kommunalen Ergänzung. Pflegestützpunkte brauchen wir schon mal überhaupt nicht. Das sind eher beh…
Gesundheitsbewusste Lebensführung kann Demenz vermeiden helfen
Gesundheitsbewusste Lebensführung kann Demenz vermeiden helfen
Es muss darum gehen, mehr auf Prävention und größte Sorgfalt bei Diagnostik und Therapie zu setzen! Demenz – „… mit Schreckensmeldungen werden nicht nur Ängste geschürt und Geschäfte gemacht, sondern auch Millionen von Menschen in die Irre geführt.“ So das Urteil von Cornelia Stolze in ihrem Buch "Verdacht Demenz - Fehldiagnosen verhindern, Ursachen klären und wieder gesund werden" (Herder, 2016). In einer Pressemitteilung vom 29.01.2016 haben Leipziger Demenzforscher der Öffentlichkeit ähnlich lautende Studienergebnisse zur Prävention vor…

Das könnte Sie auch interessieren:

Bundesverband Initiative 50Plus lädt Bürger zu Vorsorge-Abend in Mannheim
Bundesverband Initiative 50Plus lädt Bürger zu Vorsorge-Abend in Mannheim
… Schlaganfall, Unfall – wer mag darüber nachdenken? Doch dann, wenn das Schicksal zuschlägt, stehen der Ehegatte oder die Kinder vor schier unlösbaren Problemen. Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht oder Testament zählen zur Altersvorsorge. Auch Überlegungen zur Finanzierung zum Beispiel einer eventuell notwendigen Pflege. Was ist zu tun? Das sind die …
Bevollmächtigter spielt eine wichtige Rolle * Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten kombinieren
Bevollmächtigter spielt eine wichtige Rolle * Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten kombinieren
Jeder Mensch soll selbst bestimmen, welche medizinischen Behandlungsmethoden er wünscht. Patientenverfügungen sollen dies gewährleisten. Sie sind für die Fälle gedacht, wenn der Patient aufgrund akuter Verletzung oder Erkrankung nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen gegenüber dem Arzt zu äußern. In einer Patientenverfügung kann vorab bei vollem Bewusstsein …
Bild: Mein Wille gescheheBild: Mein Wille geschehe
Mein Wille geschehe
Das neue Gesetz zur Patientenverfügung im Blickpunkt einer Tagung Die Evangelische Akademie Meißen lädt vom 22. bis 24. Januar 2010 zur Tagung „Mein Wille geschehe“ - Das neue Gesetz zur Patientenverfügung ein. Seit September 2009 ist das neue Gesetz zur Patientenverfügung in Kraft getreten. Im Vorfeld auf das heftigste umstritten (auch fraktionsübergreifend), …
Kostenloser Bürgerservice des KAV am 8. September 2007 im Studio DuMont, Köln
Kostenloser Bürgerservice des KAV am 8. September 2007 im Studio DuMont, Köln
… Erbrecht 11.45-12.15: Uhr Fragen und Antworten sowie Einzelberatungen zum Thema Erbrecht Betreungsrecht: 12.15-13.00 Uhr: Vortrag zum Thema Betreuungsrecht Vorsorgevollmacht – Patientenverfügung 13.00-13.30 Uhr: Fragen und Antworten sowie Einzelberatungen zum Thema Betreuungsrecht - Vorsorgevollmacht – Patientenverfügung Familienrecht 14.00-14.45 Uhr: Vortrag …
Bild: Wider den Grundrechtsbeeinträchtigungen durch „Hobbyphilosophen“Bild: Wider den Grundrechtsbeeinträchtigungen durch „Hobbyphilosophen“
Wider den Grundrechtsbeeinträchtigungen durch „Hobbyphilosophen“
Pro Patientenverfügung und Selbstbestimmungsrecht In der aktuellen Debatte um die Reichweite von Patientenverfügungen werden allerlei „Nebenkriegsschauplätze“ eröffnet, um im Zweifel von den grundlegenden Fragen mehr oder weniger bewusst ablenken zu können. Der künftige Patient wird in die „Pflicht genommen“; ihm wird ein egozentrischer Individualismus …
Patientenverfügung - auch im Heim uneingeschränkt gültig
Patientenverfügung - auch im Heim uneingeschränkt gültig
Neuss, den 14.01.2011 - Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk informiert aus gegebenem Anlass:Patientenverfügung muss auch in stationären Pflegeeinrichtungen uneingeschränkt gelten In den vergangenen Jahren ist lebhaft über die Patientenautonomie am Lebensende gestritten worden. Dies führte dazu, dass sich der Bundesgerichtshof (BGH) mehrfach zu den maßgeblichen …
Kostenloses Expertentelefon "Pflege/Demenz" am 29.03.12
Kostenloses Expertentelefon "Pflege/Demenz" am 29.03.12
… monatlich bis zu 600 Euro. Das Geld kann als Aufwandsentschädigung für pflegende Angehörige oder beispielsweise zur Inanspruchnahme einer Tagespflege verwendet werden.Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht Durch Krankheit, Unfall oder eben durch Demenz werden viele Menschen im Alter unfähig, den eigenen Willen eigenverantwortlich zu artikulieren. …
Patientenverfügungen & Reichweitenbegrenzung – Attacke auf die Patientenautonomie?
Patientenverfügungen & Reichweitenbegrenzung – Attacke auf die Patientenautonomie?
Neuss, den 27.07.2012 - Der Paderborner Diözesan-Ethikrat hat „Empfehlungen zum Umgang mit Patientenverfügungen“ vorgelegt. Darin wird auf die Reichweitenbegrenzung bei solchen Verfügungen aufmerksam gemacht und in diesem Zusammenhang von einem "Selbsttötungswunsch" gesprochen. Am Ende des Papiers wird sogar angeregt (oder im Kern sogar gefordert), dass …
Bevollmächtigter spielt eine wichtige Rolle: Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten kombinieren
Bevollmächtigter spielt eine wichtige Rolle: Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten kombinieren
Jeder Mensch soll selbst bestimmen, welche medizinischen Behandlungsmethoden er wünscht. Patientenverfügungen sollen dies gewährleisten. Sie sind für die Fälle gedacht, wenn der Patient aufgrund akuter Verletzung oder Erkrankung nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen gegenüber dem Arzt zu äußern. In einer Patientenverfügung kann vorab bei vollem Bewusstsein …
Bild: Dr. Hohmann referierte über Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung und PatientenverfügungBild: Dr. Hohmann referierte über Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung und Patientenverfügung
Dr. Hohmann referierte über Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung und Patientenverfügung
Lohmar. Mit dem Referenten Dr. Gerhard Hohmann stand dem Verein zur Förderung der Seniorenarbiet in Lohmar ein hochkarätiger Experte für das neue Patientenverfügungsgesetz zur Verfügung. In seinem Vortrag erläuterte Dr. Hohmann das zum 1. September in Kraft getretene Gesetz und unterbreitete rechtssichere Vorschläge zur Formulierung. Wer bereits eine …
Sie lesen gerade: Patientenverfügung darf nicht durch Gewissensklausel im Heimvertrag außer Kraft gesetzt werden