(openPR) Dreieich/Wiesbaden, 16.02.2010 – Die Landesarbeitsgemeinschaft der hessischen Clubs Behinderter und Ihrer Freunde (CBF Hessen) fordert die Bundesregierung auf, die rechtlichen Grundlagen zur Mobilität und Beförderung von Menschen mit Behinderungen neu zu ordnen. So blockieren die geltenden Bestimmungen den Aufbau von ganzheitlichen Beförderungskonzepten im öffentlichen Personennahverkehr, da sich kommunale Behindertenfahrdienste einer anderen Rechtsgrundlage als der ÖPNV bedienen müssen. Dies hat nicht nur zur Folge, dass die Bildung von überregionalen Fahrdienstverbänden praktisch unmöglich ist. Auch die Nutzung der Fahrdienste steht nicht für alle Menschen mit Behinderungen offen.
„Es kommt einem Schildbürgerstreich nahe, dass Teilnehmer, die grundsätzlich zur Nutzung der Fahrdienste befugt wären, in vielen Kommunen noch vor der ersten Fahrt ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse offenlegen müssen“, schildert Tom Korb, Vorstandssprecher des CBF Hessen. „Übersteigt ein Fahrgast die knapp bemessene Einkommensgrenze nach § 85 SGB XII, greift eine Kostenpauschale pro Kilometer, die nicht selten oberhalb des regionalen Taxitarifs liegt.“ Wird nach der wirtschaftlichen Überprüfung die Fahrdiensttauglichkeit bescheinigt, ist der Nutzer jedoch immer noch nicht am Ziel.
„Jeder Landkreis organisiert den Behindertenfahrdienst anders. Es gibt keine einheitlichen Richtlinien oder Strukturen. Am Beispiel der Fahrdienste wird das ganze Ausmaß kommunaler Kleinstaaterei in seiner schrillen Mannigfaltigkeit deutlich“, berichtet Korb. So ist es keine Seltenheit, dass der Wohnsitz des Nutzers über das Maß der Teilhabe am öffentlichen Leben bestimmt. Willkürlich bemessene Kilometerkontingente, ausgeschlossene Fahrzwecke oder die Weigerung, einen Fahrgast über die Kreisgrenzen hinaus zu befördern, zählen zum Alltag von Fahrdienstnutzern. Tom Korb: „In Hochglanzbroschüren werben Kommunen gerne für ihre Regionalverbände. Doch in der Praxis kann der Besuch der Familie im benachbarten Landkreis zu langatmigen Diskussionen mit den Kostenträgern führen. Werden bei einer Fahrt vielleicht sogar noch die Grenzen eines Bundeslands überschritten, gehen die Probleme erst richtig los.“
Städte und Kommunen organisieren den Behindertenfahrdienst auf Grundlage der Eingliederungshilfe nach den Sozialgesetzbüchern IX und XII. Die unentgeltliche Beförderung schwerbehinderter Menschen im ÖPNV wird dagegen durch einen eigenen Artikel (§ 145) im Kapitel 13 des SGB IX geregelt. „Diese Unterscheidung mag historisch gewachsen sein, doch sie ist falsch. Die Inanspruchnahme eines Behindertenfahrdienstes ist keine Eingliederungsleistung, sondern ein durch die UN-Behindertenrechtskonvention verbürgtes Recht auf Mobilität. Fahrdienste müssen als ein Teil des öffentlichen Personennahverkehrs verstanden werden“, fordert Korb.
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des demoskopischen Wandels ist eine Reform der Behindertenfahrdienste unumgänglich. „Schon heute sind die Kapazitäten der Fahrdienste Land auf, Land ab erschöpft. Anreize zum Ausbau der Dienste werden aufgrund der strikten Verankerung in der Eingliederungshilfe nicht gesetzt. Sollte in den kommenden Jahren der Bedarf an flexiblen, orts- und zeitunabhängigen Beförderungsmodellen steigen, droht dem Behindertenfahrdienst der Kollaps“, warnt Korb.
Der CBF Hessen sieht deshalb dringenden Handlungsbedarf und fordert die Bundesregierung auf, die Weichen für ganzheitliche Mobilitätsangebote zu stellen. Kommunen müssen rechtlich in der Lage sein, Behindertenfahrdienste als ein Teil des öffentlichen Personennahverkehrs in die bestehenden Nahverkehrsverbunde zu integrieren und über die Verkehrshaushalte zu finanzieren. Diese Vorgehensweise würde ermöglichen, dass allen behinderten Bürgerinnen und Bürgern ohne bürokratische Hürden oder Verdienstnachweise die Inanspruchnahme eines Sonderfahrzeugs zu den tariflichen Preisen des öffentlichen Nahverkehrs möglich wäre. Die finanzielle Mehrbelastung für die Verkehrsbetriebe wird durch den Lastenausgleich nach § 148, § 149, § 150 SGB IX begleichen. Durch den Wegfall der bisher erfolgten Zahlungen für die kommunalen Behindertenfahrdienste könnte diese Summe zusätzlich aufgestockt werden.
„Mit diesem Konzept kann ein flexibles, hochwertiges und verdienstunabhängiges Mobilitätsangebot für alle Menschen mit Behinderungen geschaffen werden, das in ganz Deutschland zur Verfügung steht. Die Reform des Behindertenfahrdienstes wäre ein wichtiger Schritt zur vorbehaltlosen Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und auf den Weg in eine inklusive Gesellschaft“, fasst Korb abschießend zusammen.