(openPR) Der WorldCup steht vor der Tür. Mitte November geht es für die deutsche Volleyball- Nationalmannschaft der Behinderten nach Kambodscha. Vom 1. bis 4. November bereitete sich das Team daher mit einem Trainingslager in Nürtingen auf das Turnier vor. Dass Nationalspieler Martin Vogel nach seiner Schussverletzung wieder Volleyball spielen kann, grenzt für ihn an ein Wunder.
Juni 1993. Martin Vogel, Zivildienstleistender der psychiatrischen Abteilung des Kreiskrankenhaus Nürtingen, geht zur Arbeit. Noch zwei Wochen, dann ist die Zivizeit für den Volleyballer vorbei. Vogel hat bereits Pläne für die Zeit danach: Er möchte Sport studieren. Doch heute verändert sich sein Leben für immer. Ein Mann läuft im Krankenhaus Amok und zieht eine Waffe – und Vogel ist zur falschen Zeit am falschen Ort. Die Kugel geht einmal quer durch seinen Körper und bleibt in der Wirbelsäule stecken. Im Nachhinein hatte der junge Zivildienstleistende „Glück“ im Unglück. Wäre das Ganze nicht im Krankenhaus passiert und er nicht sofort operiert worden, hätte er diesen Anschlag wohl nicht überlebt. Und er ist nicht querschnittsgelähmt. Die Verletzung ist dennoch so schwer, dass er sein rechtes unteres Bein weder bewegen noch fühlen kann – die Nerven sind erheblich geschädigt. Für Vogel beginnt eine schwere Zeit. Sein Tagesprogramm besteht aus Physiotherapie, Rehabilitationsmaßnahmen und „Bewegungssport“ wie Schwimmen. Und die zeigen Wirkung. Fuß- und Zehenheber sind zwar stark eingeschränkt, und auch seine Waden- und Unterschenkel¬muskulatur sind kaum vorhanden. Doch so langsam lernt er wieder laufen und nach und nach erholt er sich. Nach knapp vier Jahren intensiver Regeneration hat Vogel allerdings die Schnauze voll. Er will sein Leben nicht mehr nach Therapien ausrichten und Stunde für Stunde in Behandlungszimmern zubringen.
Therapie für den Kopf
Für Vogel scheint seine Leidenschaft, der Volleyball, für immer vorbei zu sein. Er hat Angst, dass sein Rücken eine unbedachte Bewegung nicht aushält. Seiner alten Mannschaft bleibt er jedoch treu – zumindest als Zuschauer. Und es kommt wie es kommen musste: Vogel spielt sich während einer Spielpause mit einem Freund spaßeshalber ein paar Bälle zu. Der Ball verspringt und Vogel hechtet ihm intuitiv hinterher. Nach dem ersten Schreck merkt er, dass alles gut ist. „Es geht also doch mehr“, stellt Vogel fest. Zwar langsam, aber mit viel Biss kehrt er zum Volleyball zurück. „Meine Nürtinger Mannschaft hat mir sehr geholfen. Das Training und die Punktspiele waren für mich viel mehr als ‚bloßer’ Sport. Letztendlich habe ich mit Volleyball meinen Kopf wieder frei bekommen und zurück in mein altes Leben gefunden. Und ich kann wieder meinen Beitrag für die Mannschaft und den Verein leisten. Das hatte und hat auch heute noch eine sehr große Bedeutung für mich“, erinnert sich der 35-Jährige. Die Zeit des „Warum ich?“ ist für ihn nun endgültig vorbei.
Auf Volleyballturnier für die Nationalmannschaft entdeckt
Viele Jahre vergehen. Vogel studiert, wird Gymnasiallehrer und lebt ein ganz normales Leben. Dass es eine behinderte Volleyball-Mannschaft gibt, weiß er zwar. Doch die kommt für ihn wohl kaum infrage. Schließlich kann er fast alles machen und er fühlt sich nicht als „Behinderter“. Olaf Hänsel, Spieler der deutschen Volleyball-Nationalmannschaft der Behinderten, sieht das anders. Im Sommer 2005 entdeckt er Vogel auf einem Turnier, spricht ihn auf sein stark atrophiertes Bein an – und Vogel wird noch im gleichen Jahr Nationalspieler der Standvolleyballer. Das Jahr darauf ist er bereits fest in die Mannschaft integriert, 2006 wird er zum besten Spieler der Weltmeisterschaft in den Niederlanden gewählt und mit seinen Teamkollegen Vizeweltmeister. Vogel rückblinkend: „Beim ersten Lehrgang war ich ziemlich beeindruckt. So viele Menschen mit Prothesen, nur ein paar Fingern an der Hand oder anderen Behinderungen. Da kamen mir schon Zweifel, ob die mich in ihrem Team überhaupt aufnehmen. Aber das war überhaupt kein Problem. Und heute bin ich froh, dabei sein zu dürfen.“
Kaderlehrgang in Nürtingen, Vorbereitung für WorldCup in Kambodscha
Der WorldCup steht vor der Tür (24.11. bis 2.12.). Als derzeitiger Vizeweltmeister ist das Team von Bundestrainer Athanasios Papageorgiou einer der Topfavoriten des Turniers und will sich in Kambodscha nun den Titel holen! Mehrere Trainingslager und Vorbereitungsturniere haben die deutschen Standvolleyballer bereits absolviert. Auf dem Lehrgang in Nürtingen (1. bis 4. November) standen vor allem das Zusammenspiel, spielnahe Situationen sowie zwei Trainingsspiele auf dem Programm. „Meine Jungs müssen spielen, spielen und nochmals spielen. Die Abstimmung auf dem Feld klappt auch von Woche zu Woche besser. Und meine ‚kleinen’ Experimente gegen die zweite Mannschaft der TG Nürtingen haben sie gut gemeistert“, lobt der Bundestrainer seine Jungs. Die Nationalmannschaft gewinnt knapp mit 3:2. Die Oberligatruppe der 1. Nürtinger Mannschaft, die Heimmannschaft von Vogel, ist da schon ein härterer Brocken. Doch die Standvolleyballer haben rund 100 Zuschauer im Rücken, die sie immer wieder anfeuern und besonders spektakuläre Abwehraktionen mit Szenenapplaus belohnen. Am Ende heißt es allerdings 3:1 für Nürtingen. „Das war ein spannendes Match. Am meisten haben mir die Beweglichkeit und Geschicklichkeit der Spieler imponiert. Laufen, springen, hechten – und das alles mit Prothese“, ein Zuschauer ist sichtlich beeindruckt. Dirk Ludemann, Vorstand der Diana Kliniken AG Bad Bevensen und neuer Hauptsponsor der deutschen Volleyball-Nationalmannschaft der Behinderten, abschließend: „Was die Spieler körperlich leisten, ist schon eine tolle Sache. Viel faszinierender finde ich allerdings, wie vermeintlich benachteiligte Menschen für ihr Ziel, zum Beispiel den Sport, kämpfen – und das auch erreichen! Heilung ist also nicht nur eine Sache der Mediziner, sondern jedes einzelnen und fängt meiner Meinung nach im Kopf an.“
Weitere Informationen zur deutschen Volleyball-Nationalmannschaft der Behinderten finden Sie unter www.dbs-volleyball.de












