(openPR) Die Anti-Nazi-Koordination und Frankfurter Antifa-Gruppen haben am gestrigen Samstag. 7. Juli, massive Gegenaktionen gegen eine bundesweit organisierte Faschistendemonstration im Frankfurter Stadtteil Industriehof durchgeführt. Eine ausführliche Auswertung folgt im Anschluß auf ein Auswertungstreffen der Anti-Nazi-Koordination Frankfurt am Freitag, 13. Juli.
Die folgende Stellungnahme gibt unsere ersten Eindrücke wieder und wil die ausführliche Auswertung nicht ersetzen.
Eine erste kurze Bilanz der Ereignisse rund um die Nazi-Demonstration in Frankfurt am 7. Juli ergibt:
es gelang Dank des tatkräftigen Schutzes von 8000 PolizeibeamtInnen aus der ganzen Republik, für die NPD und ihren Anhang deren Demonstration “Volksgemeinschaft statt Globalisierung” gegen den Widerstand von mehreren Tausend GegendemonstrantInnen durchzusetzen.
Damit ist zunächst das politische Konzept des hessischen Innenministers Volker Bouffier und des schwarz-grünen Magistrats der Stadt aufgegangen, sich das Heft des Handelns in der Frage, ob eine Nazi-Demonstration in Frankfurt stattfinden kann oder nicht, jedenfalls nicht ganz aus der Hand nehmen zu lassen. Die Exekutive hat ein weiteres Mal bewiesen, daß ihr wirksamer gesellschaftlich organisierter und nicht bloß symbolischer Antifaschismus ein Dorn im Auge ist. Das ist Demokratie à la Hessen und Frankfurt 2007. Die materiellen und vor allem die politischen Kosten dieser Politik sind hoch bzw. noch nicht einzuschätzen.
Die Anti-Nazi-Kräfte waren präsent, aktiv, einfallsreich und beweglich. Für eine wirklich erfolgreiche Verhinderung der Nazidemonstration waren wir trotz beispiellos breiter gesellschaftlicher Unterstützung zu wenige auf der Straße.
Die Nazis erreichten mit ihrer Teilnahme nur etwa die Hälfte der von ihnen selbst erwarteten Beteiligung. Die zum Teil weitgereisten Kader mußten stundelange Verzögerungen ihrer Anreisen in Bussen und Bahnen hinnehmen, bevor sie unter dem Schutz von durchschnittlich 16 PolizistInnen pro Demonstrant durch weitgehend menschenleere Gefilde der Stadt, ein samstäglich-ödes Industrieviertel mit wegen Wochenendes stillgelegter Börse umrunden konnten, entlang der Niddawiese, die eigens zu ihrem Schutz mit NATO-Draht ausstaffiert war. Zudem wurde die Route auch noch während der Demonstration von der Polizei verkürzt. Spaß kann das den Nazis nicht gemacht haben. Wir vermuten, daß Kamerad Wöll sich wegen dieses erheblichen Fehlschlages einiges anzuhören haben wird, bevor er dann in einem Monat wegen Volksverhetzung vor Gericht steht.
Die Polizei nahm etwa 200 GegendemonstrantInnen kurzfristig fest. Der Ermittlungsausschuß arbeitet die Fälle ab. Nach Aussagen eines Mitarbeiters unseres "legal teams" kam es zu einer größeren Zahl von Rechtsverstößen der Polizei (Ingewahrsamname länger als zwei Stunden ohne Vorführung vor den Richter, Umgang mit Minderjährigen, Verweigerung der Kontaktaufnahme mit Rechtsanwälten und weiteres).
Zu schwerwiegenden Verletzungen scheint es nach unserem derzeitigen Kenntnisstand und ersten Medienberichten glücklicherweise nicht gekommen zu sein.
GegendemonstrantInnen gelang es erfolgreich, den Anreiseweg der Nazis wieder und wieder zu unterbrechen und somit eine von den Medien im Wesentlichen korrekt berichtete stundenlange Verzögerung des Demonstrationsbeginns zu erreichen.
Der Bahnhof Rödelheim war längere Zeit besetzt, die Gleise vollständig blockiert. Erst nach dem Antransport von weiteren Polizeieinheiten mit Hubschraubern gelang es diesen, die antifaschistische Blockade gewaltsam zu beenden.
Ebenfalls über längere Zeit hielten AntifaschistInnen die S-Bahn-Gleise im Bereich Emser Brücke besetzt. Dies führte rund um den Frankfurter Hauptbahnhof zeitweise zu Verzögerungen im Reiseverkehr.
Rund um die Demonstrationsroute der Nazis im Frankfurter Stadtteil Hausen - Industriehof kam es an den Stellen Ludwig-Landmann-Straße / Ecke Rödelheimer Straße, Fischstein, Industriehof, Rödelheimer Landstraße / S-Bahn-Linie, Westbahnhof und Breitenbachbrücke zu Blockadeversuchen und Auseinandersetzungen mit der Polizei, der es jedoch ihrerseits mit wenigen Ausnahmen aufgrund ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit gelang, die Route der Faschisten zu schützen.
Nach Medienberichten und unserem derzeitigen Kenntnisstand kam es nicht zu den von manchen klammheimlich oder auch offen geradezu herbeigesehnten gewaltsamen Ausschreitungen von Antifa-Gruppen. Alle diesbezüglichen Vorhersagen von sehr unterschiedlicher Seite erwiesen sich erwartungsgemäß als interessegeleitete Hysterie und Panikmache.
Das Verhalten der Polizei den Nazis gegenüber ist ein Skandal, der noch zu besprechen sein wird. Angekündigt hatte Polizeipräsident Dr. Achim Thiel, die Polizei werde “Regelverstöße jeder Art” nicht dulden. Aus vielen Erfahrungen hatten wir ihm das nie abgenommen. Zu Recht.
Denn:
Geduldet wurde die Tatsache, daß von den 500 mühsam angereisten Faschisten etwa 100 vermummt waren - jede linke Demonstration dieser Art hätte kurz vor der Auflösung gestanden.
Geduldet wurde der Nazi-Sprechchor: “BRD, Judenstaat, wir haben Dich zum Kotzen satt!”, ohne daß die danabenstehende Polizei eingriff.
Geduldet wurde das Singen faschistischer Lieder, die von der Polizei intern selbst als verboten eingestuft wurden - kein Auflösungsgrund.
Geduldet wurde das Zeigen einer geringfügig veränderten Reichskriegsflagge.
Zwei “Kameraden” wurden wegen Steinwürfen festgenommen und dann wieder freigelassen, nachdem ihre Mitdemonstranten sich weigerten, andernfalls ihren Weg nicht fortzusetzen.
Alle diese Informationen beruhen auf glaubwürdigen Augenzeugenberichten.
Als Nazis einem Gegendemonstranten eine Israelfahne entrissen und dazu skandierten "Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen" griffen Beamte der Polizei nicht ein (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 8. Juli)
Polizeilicher Kuschelkurs für Nazis.
Der schwarz-grüne Magistrat Frankfurts, der Innenminister des Landes Hessen und die von ihm politisch angeleiteten Polizeiführungen in Hessen und Frankfurt haben mit der heutigen polizeilichen Materialschlacht gegen uns AntifaschistInnen deutlich gezeigt, daß sie jede gesellschaftlichen Eigeninitiative gegen Faschismus nur in dem von ihnen selbst gezogenen engen Rahmen dulden wollen. Für sie ist das eine offensichtlich wichtige gesellschaftliche Machtfrage.
Allen liberalen Bekundungen zum Trotz haben sie politisch eine Situation zu verantworten, in der die Nazis über Monate folgenlos mit Gewaltdrohungen, rassistischer Hetze und offenem Nazivokabular bis hin zur unverhüllten Selbstbezeichnung als “Nazi” werben konnten. Da istallen EntscheidungsträgerInnen vor der Demnstration nicht zuletzt auch durch unsere zahlreichen Veröffentlichungen sowie den Offenen Brief der Anti-Nazi-Koordination an OB Petra Roth (CDU) nachweislich bekannt gewesen. Man mußte sich schon Augen und Ohren gleichzeitig zuhalten, um dies ignorieren zu können. Oder man hätte wirksam und konsequent einschreiten, das heißt: de Demonstration verbieten und damit die politische Mitverantwortung für sie ablehnen müssen.
Es ist paradox, daß dieselben, die die Forderung nach einem solchen Demonstrationsverbot für “symbolische Politik” halten und kritisieren (Sicherheitsdezernent Boris Rhein, CDU), in ihrem sonstigen Antifaschismus konsequent rein symbolisch agieren und dies auch von anderen fordern.
Die Anti-Nazi-Koordination hat aufgrund ihres Aufrufs, in dem seit März 2007 offen zu einer Blockade der Nazidemonstration auch außerhalb des Rahmens der Legalität aufgerufen worden war, eine vorher nicht erwartete gesellschaftliche Breite des Widerstands gegen Nazifaschismus organisieren könne. Bei aller Unterschiedlichkeit der Kräfte dieses Bündnis liegt hier ein möglicher Kern für eine antifaschistische zukünftige Massenbewegung in Frankfurt, die sich auch unter Druck nicht spalten läßt, und in ihren Aktionen Masse und Entschiedenheit künftig noch erfolgreicher miteinander verbindet.
Eine detailliertere Auswertung wird folgen.
Laufend weitere aktuelle Informationen: www.anti.anti.wordpress.com


