(openPR) „Psychisch Belastete vor ihren Ärzten schützen“
Initiative fordert „Schluss mit der Pillenpsychiatrie“
Eine Allianz von Ärzten, Wissenschaftlern, Therapeuten, Betroffenen und Hilfsorganisationen drängt auf eine neue Psychiatriereform. Mit einer Petition wendet sie sich nun an die Bundesregierung.
Schönbrunn. 43 Jahre ist es her, dass eine Sachverständigenkommission befand, die Versorgung psychisch Kranker in Deutschland sei „dringend verbesserungsbedürftig“. Ihr 430-seitiges Gutachten stieß die sogenannte „Psychiatriereform“ an. Sie führte zu mehr Personal in psychiatrischen Kliniken, mehr psychiatrischen Abteilungen in Allgemeinkrankenhäusern, kürzeren stationären Aufenthalten, mehr Tageskliniken, mehr gemeindenahen Ambulanzen und Beratungsstellen, mehr betreutem Wohnen.
„Aber besser als katastrophal ist nicht gleich gut und ausreichend“, meint eine Allianz von Ärzten, Therapeuten, Wissenschaftlern, Betroffenen und Hilfsorganisationen. Sie fordert “radikale Veränderungen“. Dazu startete sie soeben eine Online-Petition, die am 10. Oktober, dem „Welttag der psychischen Gesundheit“, im Bundeskanzleramt überreicht werden soll.
Die 15-seitige Petitionsschrift richtet sich an die Bundesregierung, alle im Parlament vertretenen Parteien, zuständige Ministerien und Ausschüsse des Bundestages. Sie beginnt mit einer Bestandsaufnahme von „grundlegenden Problemen, die fortbestehen“. Immer mehr psychisch Belastete „geraten in die Mühlen eines Medizinbetriebs, der ihnen immer früher und immer länger hochgiftige Chemikalien einflößt. Dafür sorgen: eine Überdiagnostik, die bloßes Anderssein und zeitweilige Befindlichkeitstiefs zu Krankheiten, Auffällige zu Patienten stempelt; das Vorherrschen einer Behandlungsweise, die auf synthetische Drogen setzt; mangelnde Aufklärung über humanere, wirksamere, risikoärmere, kostengünstigere Alternativen.“ Verantwortlich dafür sei „in erster Linie die innige Verflechtung der Psychiatrie mit der Pharmaindustrie“. Sie mache Ärzte „zu Erfüllungsgehilfen von Profitinteressen: möglichst viele Menschen für krank zu erklären und ihnen Arzneimittel zu verabreichen, die sie kaum je brauchen; an Gesunden gibt es schließlich nichts zu verdienen.“ Diese Praxis breite sich seit längerem „wie ein Krebsgeschwür in unserer Gesellschaft aus“. Die Folgen seien „schwere, oft unumkehrbare Schäden an Körper, Geist und Seele bei medikamentös Behandelten; menschliche Tragödien zuhauf; immer mehr frühverrentete Psychoinvalide; ein immenser volkswirtschaftlicher Schaden“.
Menschliche Trägödien „zuhauf“
Die Petition appelliert an politisch Verantwortliche, „Millionen seelisch Belastete, unter ihnen Hunderttausende von Kindern, vor bleibenden Arzneimittelschäden zu bewahren“. Dazu sollten sie sich ein eigenes Bild vom psychiatrischen Versorgungsnotstand und besseren Alternativen verschaffen, „statt sich von Lobbyisten beeindrucken zu lassen“. Daran schließen sich über 30 Reformvorschläge an. Gefordert werden unter anderem mehr psychologische Beratung und Psychotherapie, mehr Laien- und Selbsthilfe, staatliche Arzneimitteltests, das Ende von Zwangsbehandlungen, die Stärkung von Patientenrechten, verschärfte Antikorruptions-gesetze, vollständige Transparenz. Die Aus- und Weiterbildung von Ärzten müsse frei von In-dustrieeinflüssen erfolgen. Für Gesundheitsschäden, die auf irreführende Marketingpraktiken, auf das Manipulieren oder Verschweigen von Forschungsergebnissen zurückgehen, sollten Pharma-Manager persönlich haften.
Als ersten Schritt schlägt die Petition vor, eine neue Reformkommission einzuberufen, die „fortbestehenden Missständen und neuen Erkenntnissen Rechnung trägt“. Allerdings dürfe diese „nicht von jenen Interessengruppen dominiert werden, die eine Mitverantwortung am psychiatrischen Versorgungsnotstand tragen“.
Die Initiative ging von der 2005 gegründeten Stiftung Auswege aus, die chronisch Kranken mit unkonventionellen Behandlungsweisen zu helfen versucht, wenn die Schulmedizin an Grenzen stößt. „Immer häufiger“, so erklärt der Stiftungsvorsitzende Harald Wiesendanger, Philosoph, Publizist und Verfasser der Petitionsschrift, „wenden sich psychisch schwer Belastete an uns, nachdem sie mit der herkömmlichen, pharmafixierten Fünf-Minuten-Psychiatrie enttäuschende, teilweise verheerende Erfahrungen gemacht haben. Ohne Medikamente wären die allermeisten besser dran gewesen. Ihre Schicksale haben mich tief berührt. Das Versagen des Systems schreit nach Revolution. Viel dringender als brandgefährliche Psychopharmaka benötigen Menschen im Psychotief: Empathie, ein heiles Umfeld, Sinn, Liebe.“
Wieso wenden sich die Systemkritiker nicht zuständigkeitshalber an den Petitionsausschuss des Bundestages? „Die Missstände, die wir aufzeigen, sind dramatisch, verletzen fundamentale Menschenrechte, betreffen Millionen Bürger, bedürfen breiter öffentlicher Aufmerksamkeit und Diskussion, müssen rasch behoben werden“, erklärt Wiesendanger. „Jedes weitere verlorene Jahr bedeutet: weitere Tausende von iatrogenen Todesfällen, weitere Hunderttausende von körperlich, geistig und psychisch Geschädigten, von verspielten therapeutischen Chancen. Es wäre fahrlässig, die Bewertung unserer Anliegen einem Gremium zu überlassen, das für lange Bearbeitungszeiten berüchtigt ist - kein Wunder, bei über 60 Eingaben pro Tag; dessen Tätigkeit kaum wahrgenommen wird; das nach Parteienproporz entscheidet und im Ruf steht, unliebsame Themen vom Parlament fernzuhalten.“
Zur Online-Petition (Kurzfassung): www.change.org/p/bundeskanzlerin-angela-merkel-schluss-mit-der-vorherrschenden-psychiatrie?recruiter=631963154
Zur ausführlichen Fassung: www.stiftung-auswege.de/images/downloads/petition-psychiatriereform.pdf












