(openPR) Malerei als Erinnerung
Die Kunst des Gerard Waskievitz
Von Gerhard Charles Rump
Die Bilder von Gerard Waskievitz scheinen uns Alltagsszenen vorzuführen. Situationen, die jeder schon einmal erlebt hat, Personen und ihre Beziehungen, die so sehr vertraut erscheinen. Jeder hat schon einmal, in seinem Leben, vor jemandem gestanden, der in einem Sessel saß, oder jemanden beim Strandvergnügen beobachtet. In diesem Fall stimmt das aber nicht so ganz, und je mehr wir uns mit diesen Bildern befassen, je tiefer wir in diese Malerei eintauchen, umso mehr finden wir, dass wir überall auf Rätsel treffen, dass jede Figur ein Geheimnis trägt, und dass das, was wirklich hinter der Situation steht, auf unheimliche Weise unvertraut ist.
Wir wissen aus der Forensik, aus der Philosophie und anderen Wissensgebieten, dass praktisch nichts so ist wie es zu sein scheint. Wie kann es dann im Leben allgemein anders sein? Und wenn es im Leben nicht anders ist, muss es auch in der Kunst so sein. Gerard Waskievitz erforscht die verborgenen Dimensionen, die die künstlerische Welt regieren, gefangen zwischen der oberflächlichen Realität und dem notwendigen Gegengewicht der Schöpfung einer neuen, parallelen Welt, und das ist das was wir gemeinhin als Kunst verstehen.
Das wirft die Frage nach dem „wie", nach den Methoden auf, die diese Welt hervorbringen, die für diese neue visuelle Erfahrung verantwortlich sind. Dabei verstehen wir allmählich, Schritt für Schritt, mit jedem kleinen Detail, dass es Gerard Waskievitzs Faktur ist, die Pinselstriche, einzeln und im Zusammenhang, die, in der Verbindung mit der Wahl der Farben, die Bedingungen beschreiben für eine neue Interpretation und eine innovative Erklärung für das, was unser Leben ausmacht. Und so werden auch die existenziellen Fragen nach dem weshalb und warum aufgeworfen – nicht nur unter dem Aspekt der Ewigkeit, sondern gerade auch unter dem Aspekt des einfachen hier und jetzt: Warum geht der Pinsel hier in diese Richtung und dort in eine andere? Was bildet das ab, wenn es überhaupt etwas abbildet? Ist der Kontur des Objekts kongruent mit dem Kontur des erkennbaren Gegenstandes auf der Leinwand? Ist die Farbe autonom, oder hängt sie von vorgeformten Konzepten ab? Wie weit ist die Farbe in ihren Varianten, ihren Tönen und Schichten, Teil irgendeines Gegenstandes oder Teil der Virtuosität des Künstlers?
Es ist in der Tat die Fraktur, die Pinselarbeit selbst, die alle Antworten liefert, die wir benötigen. Wir sehen ja nicht die Welt, sondern wir sehen eine parallele Welt, eine gemalte Welt, die Welt der Kunst, die ihre eigenen Gesetze, Regeln und Festlegungen hat, ihre Prozesse und so weiter. Wir können unsere visuelle Erfahrung nicht von der Erkenntnis trennen, dass wir das sehen, was wir sehen. Es ist mehr als das normale „was du siehst ist alles was es gibt" (what you see is what you get), es geht hier ganz entschieden um etwas mehr, um mehr als man sich überhaupt erhofft hat.Die Realität, die Fantasie, Konzepte und Gedanken durch die Art und Weise ihrer Präsentation zu erklären, ist, in der Tat, eine sehr charakteristische und ehrwürdige ästhetische Praxis.
Es hat, auf gewisse Weise, Ähnlichkeiten mit dem Verfassen von Gedichten, nur dass dieses Mal der Stoff nicht aus Worten besteht, sondern aus Farben, aus Pinselstrichen, aus Bewegungsspuren auf der Leinwand, deren Oberfläche durch die Anwendung von Farbe verändert wird. Natürlich ist Malerei auf die Fläche hin orientiert, da sie zweidimensional ist. Die dritte Dimension ist eine Täuschung, ein System, das erfunden wurde, um das Auge in die Irre zu führen. Konzeptuell ist kein Gemälde je dreidimensional. Was es aber unterstützt, verbessert und ergänzt, ist die Materialität der Farbe, die Qualitäten der bemalten Oberfläche, die Veränderungen zeigt vom Rauen zum Sanften, vom Gezackten zum Fließenden, von Krümeligen zum Kompakten.Diese Eigenschaften interagieren mit dem Auge des Betrachters, verlangsamen es in seinem Lauf, oder beschleunigen es, was zu einer ästhetischen Dynamik beiträgt, die auch ein integraler Bestandteil des Kunstwerks wird.
Wenn man also ein Werk von Gerard Waskievitz betrachtet, wird es unsere Welt-Erfahrung bereichern, da es uns mit der Erkenntnis konfrontiert, wie wir sehen und verstehen. Und siehe da, wir erkennen, dass unsere Art und Weise des Sehens von Bildern sich in keiner Weise von dem unterscheidet, wie wir die Welt im Allgemeinen betrachten.Welche Rolle spielt der Inhalt in einer solchen Welt der malerischen Ästhetik? Der Inhalt ist eine Parallelerscheinung, die viele Punkte und Momente aufweist, an denen sich die unterschiedlichen Systeme berühren und sich gegenseitig erklären. Es ist keinesfalls so, dass der Inhalt zur Ästhetik wird oder dass die Ästhetik der einzige Inhalt ist, aber beide laufen nebeneinander her und bilden eine Art von stereoskopischer Erkenntnis dessen, was der Fall ist.
Ob nun eine Haltung zur Form wird, oder ob künstlerische Form durch das Zusammenrühren scheinbar widersprüchlicher Tatsachenbehauptungen entsteht, aus Poesie - es ist immer so, dass in Gerard Waskievitzs künstlerischer Produktion das überzeugende Bild die Hauptrolle spielt. Üblicherweise richten wir drei unterschiedliche Arten von Foki auf alles, dass wir zu verstehen trachten. Es ist einmal der informationelle Fokus, dann der stilistische, und schließlich der ästhetische Fokus. Der informationelle Fokus behandelt die Geschichten, die man uns erzählt, wenn man uns überhaupt Geschichten erzählt, was ja nicht immer der Fall ist.
Der stilistische Fokus beschäftigt sich mit Angelegenheiten von Stil, was bedeutet, dass wir nach Eigenschaften Ausschau halten, die das fragliche Werk von anderen unterscheidet, so wie ein Gedicht etwa von einer Zeitungs-Nachricht. Schließlich kommt der ästhetische Fokus ins Spiel. Dieser liefert uns alles was wir darüber wissen müssen, wie etwas gemacht worden ist. Er vermittelt so einen Einblick in den ästhetischen Kosmos, in die Beziehungen der Eigenschaften der künstlerischen Produktion und deren Verbindung zu anderen Systemen von teils hochfliegenden Gedanken, wie zum Beispiel alle historischen und literarischen Anspielungen und Zitate, alle künstlerischen Verweise und dergleichen mehr.So kann eine gewisse Art der Malerei, eine bestimmte Methode, Farbe auf die Leinwand aufzubringen, eine historische Referenz bedeuten, eine Berufung auf die emotionalen und sozialen und ästhetischen Präferenzen eines Malers oder sogar einer ganzen Epoche. In diesem Fall wäre das natürlich dann eine Art von Rekonstruktion. Wenn man versteht, welche Art von Rekonstruktion vorliegt, beginnt ein längerer Prozess von wiederholtem und intensivem Dialog mit dem Werk.
In den Philosophien Osteuropas finden wir oft eine Haltung, die sagt, dass ein klarer Gedanke ein kleiner Gedanke ist, und dass ein klarer Gedanke ein Gedanke ist, der nicht zu Ende gedacht worden ist. Natürlich verweist dies auf die Tatsache, dass, je mehr man etwas über irgendein Thema weiss, desto mehr Fragen aufkommen. Es zeigt auch an, dass die wachsende kritische Komplexität der Dinge dieser Welt, gleich ob wir diese im realen Leben, in einer Analyse des Universums, oder eben in der Kunst antreffen, sehr dynamisch ist.
In Gerard Waskievitzs Malerei wandern wir durch eine Art Wunderland, das uns zeigt, dass es viele verborgene Dimensionen gibt. Wir marschieren die Erinnerungsmeile entlang, aber wir sind auch, dann und wann, dabei eine Vorahnung zu nähren, eine plötzliche Vision der Hölle oder des Paradieses, wobei die notwendige Veränderung aller Dinge durch lautes Läuten der Alarmglocken angekündigt wird.
Die Gemälde werden uns, dankenswerterweise, die Pfade weisen, denen wir zu folgen haben, um zum Hauptbahnhof des Verstehens zu gelangen, zur Erkenntnis. Aber das ist natürlich nicht einfach. Warum sollte es einfach sein? Das steht nirgendwo geschrieben. Und es trägt zur Faszination der Gemälde von Gerard Waskievitz bei.
23.01.2016 -14.02.2016
Malerei als Erinnerung / All bunnies can fly / Painting von Gerard Waskievitz