(openPR) Warum in die Ferne schweifen? Es ist eine Frage, die sich wirklich stellt! Denn in der Ferne lauert das Unbekannte, das Gefährliche und das Unbehauste. Wer schon einmal in einem Bahnstreik gestrandet ist und eine zugige Nacht in einer Bahnhofshalle verbringen musste, wird verstehen, was gemeint ist.
Es gibt Menschen, die die Gefahr, die mit der Entfernung vom eigenen Wohnort aufkommt, besonders intensiv spüren. Sie entwickeln zuerst eine gewisse Unlust aufs Reisen, dann verlassen sie ihren Wohnort auch für kleinere Ausflüge oder Besuche nur noch höchst ungern, schließlich überschreiten sie kaum noch die Grenzen ihres näheren Wohnumfeldes. Dann reduziert sich der Radius auf Haus und Garten, wobei der letztere zunehmend als gefährlich empfunden wird. Also bleibt das Haus übrig. Aber auch hier engt sich der Radius ein, nur ein Zimmer ist es, das kaum noch verlassen wird. Und schließlich bleibt der Mensch im Bett, von zunehmenden Ängsten gequält. Agoraphobie heißt diese Krankheit.
Spinnerei? Keineswegs. Die Angst vor dem „Draußen“ hat uns die Evolution mitgegeben. Wenn der Mensch der Steinzeit seine gemütliche Wohnhöhle verließ, lauerten Gefahren jeglicher Art auf ihn, die auch den kleinsten Ausflug zu einem unerfreulichen Erlebnis machen konnten. Säbelzahntiger und andere unwillkommene Begegnungen, klimatische Fährnisse, gefährliche Wegeführungen, aber auch das Treffen mit übelwilligen Verwandten gehörten zu den üblichen Gründen, besser zu Hause zu bleiben. Die Tatsache, dass diese gefühlten Gefahren unerfreulich oft ganz real waren, hat wohl auch dazu beigetragen, dass sich die Zahl der Menschen höchst langsam gesteigert hat. ¬ Die Agoraphobie, könnte man sagen, hat ihren Sinn und reflektiert ein altes Erbe.
Und trotzdem sind die Menschen damals nicht nur in ihren Höhlen geblieben. Natürlich waren die Urmenschen darauf angewiesen, Nahrung zu sammeln und Beute zu machen. Hin und wieder rauszugehen in die feindliche Umwelt, war überlebenswichtig. Warum in die Ferne schweifen? „Schön ist es auch anderswo, und hier bin ich sowieso!“ Ob die Menschen der Steinzeit das Glück kannten, durch grüne Wälder zu pirschen? Waldeslust und Wanderlust? Sehnsucht in die Ferne? Niemand kann es so genau sagen. Vielleicht war es eher umgekehrt: Weil mit dem Rausgehen die Stagnation und der Hunger vertrieben werden konnte, weil Jäger- und Sammlerglück euphorisierte, drängt es uns heute noch manchmal dazu, den angestammten Wohnsitz zu verlassen. Dann würde sich in unserer Lust an Reisen und fremden Ländern ebenfalls ein altes Erbe nachzeichnen.
Dafür gibt es Indizien. Den Blick von einem hochgelegenen Punkt weit in das Land zu genießen, berührt etwas Archaisches in uns. Er ist der Antrieb des Reisens. Schon Kinder geraten beim Blick in die Weite ins Träumen; eine unbestimmte Sehnsucht, sich fortzubewegen, hinein in diese Landschaft, in die Fremde. Das Wort „Wanderlust“ gab es schon im Mittelhochdeutschen; man darf annehmen, dass das Fernweh dem Menschen genauso innewohnt wie der entgegengesetzte Drang, besser zu Hause zu bleiben.
Die moderne Art, das Fernweh zu befriedigen, ist der Urlaub. Gibt es sonst eine vernünftige Erklärung dafür, in der von der Erwerbsarbeit befreiten Zeit nicht zu Hause zu bleiben? Die meisten Menschen wohnen hierzulande in Wohnungen, die ihre Bedürfnisse recht anständig befriedigen: Fließend warmes und kaltes Wasser, gemütliche Wohnzimmer, bequeme Betten. Was treibt jemanden dazu, der sich zu Hause mit einer weiteren Person eine schöne 80-Quadratmeter-Wohnung teilt, alle möglichen Strapazen auf sich zu nehmen, um sich dann in einem miesen Massenquartier irgendwo in Spanien am Meer zwei Wochen mit schlechtem Essen und noch schlechteren Weinen zu „erholen“? Die Abwechslung macht es, und die tief erlebte Lust, einmal nicht zu Hause zu sein, etwas Neues auszuprobieren und zu erleben.
Kann man den Urlaub eigentlich auch zu einem wirklich angemessenen Erlebnis machen? Natürlich, man kann. Aber dazu muss als Reiseziel ein Sehnsuchtsort aufgerufen werden, der mit dem Zuhause konkurrieren kann. Wie auch die Urmenschen, wollen wir da draußen einen schönen und sicheren Aufenthalt haben. Wenn schon in die Ferne schweifen, dann lieber dort hin, wo es richtig gut ist und wo wir zugleich die archaischen Instinkte des „aus-der-Höhle-Rauskommens“ optimal befriedigen können.
Um es gleich zu sagen: Ein Hotel, und insbesondere ein Hotel, das den Gast in jeder vorstellbaren Art umsorgt, kann nicht das Ziel eines Urlaubs sein. Warum nicht? Weil das Hotel versucht, das Fremde und Unbekannte so weit wie möglich abzumildern. Mehr noch: Es verpflichtet seine Gäste zu einer ganz anderen Art der psychischen Befindlichkeit. Während die Abenteuer- und Reiselust viele Menschen in alle möglichen nicht vorgefertigte Situationen bringt, versucht ein Hotel, seine Besucher an einem ganz bestimmten Reflex zu packen: Dem der Regression. Gab es schon einmal eine Situation, in der wir völlig umsorgt waren? Genau. Das Hotel macht uns zum Baby. Das ist vielleicht auch mal schön, wenn auch die ökonomischen Beziehungen dieses psychische Regressionspotenzial vielleicht manchmal konterkarieren, denn vor welchem Baby steht ein Etagenkellner und hält die Hand auf? Aber um es noch einmal zu bekräftigen: In die Ferne schweifen hat etwas mit Aktivität, Selbstwirksamkeit und Eigeninitiative zu tun. Das ist das Gegenteil des passivischen Umsorg-Seins.
Also kommen vor allem solche Unterkünfte in Betracht, die den Menschen vor eine kleine Herausforderung stellen, deren Aufsuchung ihm einen gewissen Widerstand entgegen setzen. Zugegeben, was das sein könnte, wird individuell sehr unterschiedlich gesehen. Es gibt Menschen, für die eine Reise mit dem Metronom von Uelzen nach Göttingen ein Abenteuer ist, das die Betroffenen dicht vor den Herzschlag bringt. Wer etwas souveräner mit Reiseerfahrungen umgehen kann, sollte demnach andere Ziele und Herausforderungen ins Auge fassen.
Nach der Reise kommt das Ankommen. Man mag sich vorstellen, wie sich die Urmenschen gefreut haben, wenn sie auf ihren Streifzügen eine neue, brauchbare, von anderen Urmenschen schon lange verlassene Wohnhöhle entdeckt haben. Schmeckt hier nicht das Wasser ganz anders? Ist die Feuerstelle nicht eine Besondere? Raunen die Bäume nicht in fremden Sprachen und wollen durch Beobachtung, Staunen und Zuhören verstanden sein?
So ähnlich mag es uns gehen, wenn wir unter der Fußmatte den Schlüssel zu unserem Ferienhaus finden und aufschließen: Welche Bedeutung wird dieser Ort haben? Ist er zu gebrauchen? Wird hier ein guter Aufenthalt für einige Zeit möglich sein? Umso freudiger wird die Stimmung, wenn man feststellt: Ja, hier ist gut sein / wir werden hier einige Zeit leben können / die neu entdeckte „Höhe“ taugt zum Übernachten, Kochen, Essen, Trinken und Sich-Wohl-Fühlen.
Man macht sich auf die Suche vorangegangener erlebter Zeit: Im Hausbuch haben Gäste Einträge hinterlassen. Man kennt die Leute nicht, aber auch sie haben sich hier wohlgefühlt. Und sie haben vielleicht eine Flasche Wein zurückgelassen, einen Willkommensgruß: Hier ist gut sein! Hier wird man gut schlafen können. Man blickt aus den Fenstern und der Blick schweift in die Weite: Man kann etwas erleben. Draußen sind Grillen zu hören, oder auch Zikaden. Die Pflanzen haben einen fremden Duft und verbreiten eine ungewohnte Stimmung. Im Frühling und Sommer fliegen Glühwürmchen herum…
Wer sich jung und kräftig genug fühlt, mag auch mit dem Rucksack auf dem Rücken die Welt erobern; dann braucht es kein Ferienhaus und erst Recht kein Hotel, dann tut es auch ein Strand, oder für eine Nacht eine Verkehrsinsel vor dem Bahnhof bzw. der rückwärtige Teil einer Autobahnraststätte. Für die weniger urtümlich Fühlenden mag die Empfehlung gelten: Ein Ferienhaus-Urlaub ist geeignet für alle, die wirklich in die Weite wollen, die auf Eroberung und Aktivität eingestellt sind. Ein praktisches Mittel, einer unerwartet einsetzenden Agoraphobie entgegen zu wirken!










