(openPR) Wenn man Bücher schreibt (und liest), dann findet man bei der Betrachtung insbesondere belletristischer Texte über die Zeit eine Tendenz vom langen Satz zum kurzen Satz. Von der Beschreibung, die im Kopf das Bild erzeugt (Kopfkino), zur immer expliziteren Darstellung, die keinen Interpretationsspielraum mehr lässt. Egal, ob es sich um die Beziehung von Menschen oder um die "richtige" Verhaltensweise zwischen den Geschlechtern geht. Alles hat kurz und überschaubar zu sein, möglichst vorhersehbar. Das erinnert mich an die Jäger und Sammler in der Steinzeit. Dort war es lebensnotwendig, schnelle Entscheidungen zu treffen. Die damaligen langsamen Denker sind eher früher gestorben. Von dieser Überlegung ausgehend ist es erstaunlich, dass überhaupt Ackerbau, Viehzucht und Sesshaftigkeit sowie Arbeitsteilung erfunden wurden. Weil es mit dem Abwarten von Ereignissen verbunden ist, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintreffen können, aber nicht müssen. Zum Beispiel die Ernte. Ich kann mir vorstellen, dass "damals" manche Kultur auf den Jäger- und Sammler Status zurückfallen musste, um nicht vollends auszusterben. Nicht alle haben es geschafft, diese Zeit zu überstehen. Als Quintessenz bleibt allerdings, dass keine Kultur ohne wichtige Gründe den Schritt zurück gemacht hat. Was mich zur Frage bringt, warum wir – heute – genau auf diesem Wege sind.
Die moderne, jederzeit verfügbare Technik scheint viele Menschen zu überfordern, ohne dass sie es merken.
So toll wie die neuen Formate sind – Podcast, YouTube Videos, Streaming. Es sind hauptsächlich Bilder statt Text, Laute statt Lesen. Es ist "einfach" das zu "bedienen". Und es reduziert tendenziell die Aufmerksamkeitsspanne der Anwender auf die eines Goldfischs. Hier findet durch die sogenannte "Digitalisierung" keine gesellschaftliche Weiterentwicklung statt. Sondern gefühlt eine schleichende oder sogar angelernte Verblödung.
Lesen ist eine Kernkompetenz von Hochkulturen, die man sich jeden Tag erarbeiten muss. Wer kann heute noch einen Text von einer Seite nach dem Lesen inhaltlich zusammenhängend wiedergeben? Die Alten, die den ersten Kontakt mit Computern noch über Science Fiction hatten. Generation 50+. Und studierte Literaten.
Eine Kultur, die nicht mehr in der Lage ist, dem geschriebenen Wort zu folgen, ist auf dem Weg in die digitalisierte Steinzeit. Kurze Schnitte, Handeln im Affekt, Verzicht auf vorausschauende Planung sowie leichte Steuerbarkeit von oben zeichnen diese Kultur aus. Sklaven der eigenen Bequemlichkeit.
Muss man zurück zur Tontafel, um die Welt zu retten? Mitnichten. Es geht um das, was heute euphemistisch als "digitale Kompetenz" vermarktet wird. Genau diese Kompetenz tut nämlich tatsächlich dringend Not. Nur geht es dabei nicht nur um die Erlernung einer Programmiersprache oder die richtige Verwendung von Apps (von denen viele die sogenannte Usability in Qualität eines schlechten Witzes haben). Sondern um die Integration der neuen Technologien in einer Weise, die das Leben lebenswerter – sprich menschlicher – macht. Mir kann niemand erzählen, dass die IBAN erfunden wurde, um Menschen den Umgang mit ihrem Bankkonto zu erleichtern.
Die sogenannte zunehmende Komplexität ist oft nichts anderes als eine Erhöhung von Mikromanagement um des Kontrollwahnes willen. Menschen kommen da nicht mehr vor. M2M ist King.
Was ist zu tun? Die Antwort ist trivial und platt. Aufmerksamkeit, Entschleunigung, Nachhaltigkeit, Wertschätzung. Sich füreinander Zeit nehmen. Lesen. Schreiben. Miteinander sprechen, auch länger als 140/280 Zeichen. Um einige Beispiele zu nennen. Die Maschinen sind heute schon mehr als schnell genug, um uns lästige Routinearbeiten abzunehmen. Wir, die "Wetware", sollten realisieren, dass wir uns gerade selbst den digitalen Ast, auf dem wir sitzen, absägen. Indem wir aufhören, selbst zu denken, um es sogenannten Künstlichen Intelligenzen zu überlassen.
Es wird Zeit, dass die Maschinen anfangen, für uns zu arbeiten. Und nicht wir für die Maschinen. Es wird Zeit, dass wir eine menschenzentrierte Kultur schaffen, die uns zu Recht als intelligentestes Lebewesen auf diesem Planeten kennzeichnet. Solange wir dazu noch in der Lage sind.