(openPR) EnergyComment, das Analysezentrum für Ölpolitik und Ölmärkte, präsentiert die wichtigsten Ergebnisse des WEO 2008, des wohl einflussreichsten und meistzitierten Energieberichts, in einer Reihe von Kurzanalysen.
Hier geht es um das Herzstück der Ölanalyse der Internationalen Energieagentur (IEA): Die Untersuchung der größten Ölfelder der Welt. Ihr Schicksal ist entscheidend für die Höhe der notwendigen Investitionen und den Umfang des zukünftigen Rohölangebots.
1. Hintergrund: Zwei ölpolitische Positionen im Clinch
In früheren WEO-Studien leitete die IEA die Höhe der zukünftigen Ölförderung aus der Nachfrage ab. Sie ergab sich aus der globalen Wirtschaftsentwicklung und der Konkurrenzfähigkeit von Öl. Da die Ölreserven ausreichend groß seien und die Investitionsneigung mit steigenden Ölpreisen zunehme, werde das Ölangebot mitwachsen. Das Problem sei nur, ausreichende Investitionsmittel zu mobilisieren.
Mit diesem Ansatz stand die IEA in einem immer krasseren Gegensatz zu den Thesen vieler Ölexperten, die das Problem auf der Angebotsseite sehen: Die Ölproduktion könne nicht mehr lange steigen, weil die Förderung in alten Feldern rapide schrumpfe und kaum noch neue Felder gefunden werden.
Mit der Ölfeldanalyse im WEO 2008 gibt die IEA der Angebotsseite ein größeres Gewicht und kommt damit dem Mainstream der weltweiten Öldiskussion entgegen, ohne jedoch – im Gegensatz zu den meisten Experten - vor 2030 einen Peak zu erwarten.
Auch in der Reservendiskussion ist die IEA etwas vorsichtiger, aber lässt es bei einem ausführlichen Überblick über den Forschungsstand und einigen Aktualisierungen bewenden. Was die Chancen angeht, neue Ölfelder zu finden, verweist sie auf einige leicht ermutigendene Trends seit 2000, referiert aber ansonsten den Stand der Diskussion. Zur Frage der Ölpreisprognosen und der revidierten Produktionsprognose wird EnergyComment eine weitere Pressemitteilung herausgegeben.
2. Die Ölfeldanalyse – worum geht es?
Der WEO 2008 konzentriert sich erstmals auf eine zentrale Frage der zukünftigen Ölversorgung: den Förderrückgang in bereits erschlossenen Ölfeldern. Zu jedem Zeitpunkt gibt es auf der Welt viele Felder, deren Produktion noch steigt, andere sind auf oder nahe dem Höhepunkt, und eine wachsende Zahl von Feldern liefert immer weniger Öl. Um die Geschwindigkeit dieses Rückgangs geht es im Ölkapitel des WEO 2008.
Tatsächlich ist dieser Faktor eine weitaus größere Herausforderung für die Ölbranche als das – in den Medien weitaus stärker beachtete - jährliche Nachfragewachstum. Im Schnitt der letzten Jahre war der Förderrückgang drei bis fünf Mal größer. 2008 und 2009 ist der Unterschied noch eklatanter, weil zwar die Ölnachfrage stagniert, aber der Förderrückgang trotzdem keine Atempause bei den Investitionen erlaubt. Daraus lässt sich jedoch der ermutigende Umkehrschluss ziehen, dass das Wachstum der Ölnachfrage etwa aus China oder Indien nicht der entscheidende Faktor in der globalen Ölbilanz ist.
Der Förderrückgang, die sog. Decline Rate, ist also von herausragender Bedeutung für jede Schätzung der zukünftigen Ölversorgung. Sie hat eine enorme Auswirkung auf die Höhe der notwendigen Investitionen.
3. Ergebnisse der Ölfeldanalyse
Die Analyse großer Ölfelder ist schwierig und komplex. Zahlreiche Annahmen müssen einfließen, viele Daten sind nicht verfügbar oder können nicht überprüft werden. In den meisten Presseberichten wird nur die Headline-Zahl von 6,7% für den jährlichen Förderrückgangs erwähnt. Aber es lohnt sich, den ganzen Text zu lesen.
Die IEA hat 798 Felder erfasst, darunter etwa 90% der größten Ölfelder der Welt (die Super Giants und Giants). Sie produzieren zwei Drittel des Weltölangebotes. Insgesamt gibt es auf der Welt etwa 70.000 produzierende Ölfelder.
Es wurden 580 Felder identifiziert, die ihren Förderhöhepunkt (Peak) überschritten zu haben scheinen, die „Post-Peak-Felder“. Sie fördern etwas mehr als die Hälfte des Weltöls. Wenn die Förderung früher einmal höher lag als heute, gilt das Feld als „post-peak“.
Die Post-Peak-Felder zeigten einen gewichteten durchschnittlichen Förderrückgang von 5,1% (das entspricht 3,6 Mio. Barrel pro Tag - also 4,2% der Weltölnachfrage). Die Unterschiede sind groß: Bei den Super Giants, die vor allem am Persischen Golf zu finden sind, wurden 3,4% errechnet, bei anderen Großfeldern hingegen 10,4%, im Tiefwasser sogar 13,3%.
In der OPEC betrug der Rückgang nur 3,1% pro Jahr, in der übrigen Welt 7,1%. Jüngere Post-Peak-Felder (Produktionsstart nach 2000) zeigten einen Rückgang von 5% (OPEC) bzw. 14,5% (außerhalb der OPEC), insgesamt waren es für diese Gruppe 12,6%.
Die 5,1% der untersuchten Felder wurden dann mit einem groben Schätzverfahren auf 6,7% für alle Post-Peak-Felder der Welt hochgerechnet. Der höhere Wert wurde nachvollziehbar damit begründet, dass die nicht untersuchten Felder im Schnitt kleiner sind und daher ungünstigere Produktionsprofile aufweisen. Aber es bleibt ein sehr grober Schätzwert. Diese 6,7% führen zu einem jährlichen Verlust von 4,7 mb/d.
4. Andere Studien
Noch 2007 schätzte die IEA, dass die tatsächliche globale Decline Rate bei 4,0 % liegt (MTOMR 2007). Dabei wurden aber alle Felder berücksichtigt, also auch solche, die noch vor ihrem Peak liegen. Der Wert musste also günstiger als die jetzt errechneten 6,7% sein. Auch wurden Produktionsstörungen z.B. durch Hurrikans nicht herausgerechnet. Diese Schätzungen hat die IEA Mitte 2008 in einer neuen Veröffentlichung revidiert (MTOMR 2008). Sie kam nun auf 5,2 % - wiederum einschließlich „wachsender“ Felder und diverser Produktionsstörungen.
Der amerikanische Beratungskonzern IHS/Cera ermittelte die Decline Rate in einer ebenfalls Mitte 2008 veröffentlichten Studie mit 4,5 % p.a. in einer ähnlichen Höhe. IHS/Cera war zudem der Meinung, dass sich der Rückgang nicht verschärft.
Der OMR der IEA vom März 2008 (OMR 3/2008) hat Produktionsstörungen und politische Sondereinflüsse herausgerechnet und nur Post-Peak-Felder berücksichtigt. Allerdings konnten nur die Länder außerhalb der OPEC berücksichtigt werden. Der Bericht kam auf einen jährlichen Förderrückgang von 7,7%. Die Geschwindigkeit der Verluste waren im Untersuchungszeitraum 1999-2007 konstant geblieben. Der aktuelle WEO 2008 schätzte 7,1% für die untersuchten Felder außerhalb der OPEC, was aber für alle Non-OPEC-Felder auf (indirekt erschließbare) 10% hinausläuft – also fast die Hälfte höher als noch im März vermutet. Der WEO geht außerdem von steigenden und nicht von konstanten Verlusten aus.
5. Bewertung
Der jetzt im WEO ermittelte Schätzwert von 6,7% für den jährlichen Förderrückgang in „alten“ Feldern, die ihren Peak überschritten haben, liegt bedeutend höher als bislang – auch von der IEA selbst - publiziert wurde. Das Ergebnis stellt eine enorme Herausforderung an die Investitionsbereitschaft der privaten und vor allem der staatlichen Ölkonzerne dar. Das gilt ganz besonders vor dem Hintergrund der aktuell steil fallenden Ölpreise und der Kreditklemme in weiten Teilen der Wirtschaft.
Aber es bleiben eine Reihe von Fragen, die die warnende Botschaft der Studie abschwächen:
Nur eine Momentaufnahme? ?Wie die IEA selbst zeigt (WEO S.242), schwankte die Geschwindigkeit des Förderrückgangs im Laufe der letzten Jahrzehnte sehr stark. Das hatte vor allem geopolitische und ölpolitische Ursachen: Der Einbruch in der iranischen Ölförderung 1980, in Kuweit 1991, der Investitionsrückgang Ende der 90er und die Kürzung der OPEC-Produktion 2006 führten jeweils zu einem starken, aber nur kurzen Anstieg des statistich gemessenenen Förderrückgangs.
Seit 2000 hellt sich die Lage sogar deutlich auf, wohl aufgrund höherer Investitionen. Der Förderrückgang der Post-Peak Felder hat sich seit Ende der 90er deutlich verlangsamt und ist auf ein Niveau gefallen ist, das nur Mitte der 90er und Mitte der 80er erreicht werden konnte. Das widerspricht zentralen Aussagen der WEO Studie und stellt die „Halbwertszeit“ der Ölfeldanalysen in Frage.
Politische Verzerrungen
Die IEA musste ihre Ergebnisse aus dem historischen Produktionsprofil der Felder ableiten. Wie groß war aber der Einfluss technisch oder politisch bedingter Störungen? Wie hoch ist der Förderrückgang, wenn man insbesondere OPEC-Entscheidungen, aber auch Überfälle in Nigeria, Hurrikans in den USA und die zahllosen sonstigen Störungen oder sogar bewusst gewollten Produktionsrückgänge herausrechnet.
Natürlicher Förderrückgang bleibt unklar
Um investitionsbedingte Verzerrungen auszublenden, müsste der natürliche, also nicht durch Investitionen gebremste, Förderrückgang näher untersucht werden, was die IEA ebenfalls versucht hat. Das führt aber in methodische Sackgassen (WEO S.244), da sie indirekt aus ständig schwankenden und nur durch Umfragen ermittelbaren Kosten abgeleitet werden muss. Die IEA kam so auf 9,0%. Es gibt in der jüngeren Ölgeschichte kaum Beispiele für Felder, die nur instandgehalten wurden, ohne dass es entweder zu Störungen oder aber zu Erweiterungsinvestitionen gekommen wäre. Vereinzelte Beispiele weisen, wie die IEA zeigt, eine starke Streuung von 6-23% auf.
Size matters?
Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass Größe und Standort des Feldes (an Land, im Wasser) die entscheidenden Faktoren für das Produktionsprofil sind. Hier drängt sich der Einwand auf, dass die meisten sehr großen Onshore-Felder in den OPEC-Staaten liegen. Es sollte genauer untersucht werden, ob vielleicht nicht die natürlichen Feldeigenschaften, sondern die Ölpolitik des jeweiligen Landes für das Produktionsprofil entscheidend sind.
Weiter so!
Trotz der zum Teil unvermeidlichen methodischen Schwächen ist der Bericht ölpolitisch von großer Bedeutung. Die IEA, deren personelle Stärke von den Medien meist weit überschätzt wird, und ihr neuer Chef Tobuo Tanaka verdienen große Anerkennung dafür, dass sie immer häufiger die „heißen Eisen“ der Öldiskussion anfassen und immer eindringlicher vor Engpässen bei der Ölversorgung warnen.










