(openPR) Wem sagen die Namen Josephine Baker und Ruth Landshoff etwas?
Spätestens seit letztem Jahr, als die teilweise hüllenlosen Fotos der beiden Frauen in einem Bildband veröffentlicht wurden, kennen zumindest die Leser deutscher Feuilletons sie, denn die skandalösen Fotos aus den Zwanziger Jahren, waren Gegenstand ausführlicher Rezensionen und Artikel. Obwohl der Fotograf der „scharfen“ Fotos, Karl Vollmoeller, ebenfalls erwähnt wurde, spielte er für die Presse nur eine untergeordnete Rolle, quasi ein Statist. Dabei hat Vollmoeller noch weit mehr Fotos hinterlassen. (Die hielt die Familie jedoch unter Verschluss)
Dabei war es sein „Harem“, sprich Vollmoellers Aufsehen erregende Wohnung am Pariser Platz, über die der Journalist Anton Schnack 1931 überwältigt schrieb: „Bei Vollmöller Gast zu sein, bedeutet Überraschungen zu erleben … wie bei einem Verschwörer … mit einem raffinierten Doppelleben, wenn er … eine Geheimtür öffnete … kam man in eine zweite Wohnung, von vielen Lüstern und Lampen erhellt, dick mit Teppichen belegt, angefüllt mit altvenezianischen Möbeln, die den Eindruck vermittelten, als sei man zurückversetzt, in die Gemächer des Dogen von Venedig oder eines reichen Bankiers der Renaissance“. Damit spielte Schnack auf den Palazzo Vendramin-Calergi an, Vollmoellers Wohnsitz in Venedig, in dem er 1929 Josef von Sternberg beherbergte, das Drehbuch für den Film „Der blaue Engel“ schrieb und das Engagement von Marlene Dietrich für die Hauptrolle einfädelte. Marlene ruhte sich später öfter bei Vollmoeller im Palazzo am Canale Grande aus.
Wer genau wissen möchte, wie es in Vollmoellers Harem tatsächlich zuging, weshalb dessen Wohnung am Pariser Platz Treffpunkt der Lesben und Schulen Berlins, Deutschlands und der ganzen Welt war, der lese nach in der aktualisierten, erweiterten Biografie, die der Autor, Biograf und Kulturmanager Frederik D. Tunnat im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse 2019 veröffentlicht hat.
Harry Graf Kessler, ein Freund und Weggefährte Vollmoellers, beschreibt dessen Harem so: „Um eins …rief Max Reinhardt an, er sei bei Vollmoeller, sie bäten mich beide, ob ich nicht noch hinkommen könne? Miß Baker sei da … Ich fuhr also zu Vollmoeller in seinen Harem am Pariser Platz und fand dort … zwischen einem halben Dutzend nackter Mädchen auch Miß Baker, ebenfalls bis auf einen roten Mullschurz völlig nackt, und die kleine Landshoff (eine Nichte von Sammy Fischer) vor ... Die nackten Mädchen lagen oder tänzelten zwischen den vier oder fünf Herren im Smoking herum, und die kleine Landshoff, die wirklich wie ein bildschöner Junge aussieht, tanzte mit der Baker moderne Jazztänze zum Grammophon“.
War in Berlin Vollmoeller’s „Harem“ Treffpunkt der Lesben, Schwulen, Filmstars und Tänzerinnen, war sein Pendant in Hollywood „The Sewing Circle“, der „Nähkreis“, der eine ähnliche Klientel wie in Berlin umfasste und in der von Vollmoeller als Beichtvater wie „Puffmutter“ gemanagt wurde, wenn er für jeweils ein halbes Jahr in Hollywood weilte.
Doch Vollmoeller auf seine sexuellen Eskapaden und Vorlieben zu reduzieren hieße, ihm nicht gerecht zu werden. Daher nehmen die Ausschweifungen nur einen Bruchteil in seiner Biografie ein. Sein Biograf widmet sich ausführlich Vollmoellers als Star-Dichter und junger Genius im Kreis von Stefan George, sowie als Dramatiker, Stückeschreiber fürs Theater, Übersetzer und Bearbeiter antiker wie modernerer Stoffe.
Dass Vollmoeller speziell während des Ersten Weltkriegs eine führende Rolle in Deutschlands Politik einnahm, u.a. als Gründer des bedeutenden Herrenclubs „Deutsche Gesellschaft 1914“, dabei half, Lenin über Schweden nach Russland zu schmuggeln, mit Rene Schickele verzweifelt versuchte 1917/18 einen „Separat-Frieden“ zwischen Deutschland und Frankreich einzufädeln, sowie seine Kontakte zur englischen Regierung spielen ließ, um Herbst 1918, vor der Kapitulation, mit Großbritannien eine Einigung für das Deutsche Reich zu erzielen, sei am Rande erwähnt.
Dass Vollmoeller nach 1919 zunächst freiwillig ins italienische, 1939 ins amerikanische Exil ging, nahm man ihm in seiner Heimat übel. Nachdem er Hitler, Goebbels und Göring 1938 einen Korb gab, sich vor deren Nazi-Karren spannen zu lassen, ließen die Nazi-Herren ihn von ihren faschistischen Freunden in Italien enteignen, und machten Vollmoeller so zu einem verarmten Exilanten.
Deutsch-jüdische Denunzianten brachten Vollmoeller 1942 in US-Internierungshaft, die er, von mehreren tödlichen Krankheiten gezeichnet, nur gezeichnet überlebte. Obwohl er nach seiner Freilassung Anfang 1943 sein Alterswerk – Gedichte und einen Roman – beenden konnte, erlebte er deren Veröffentlichung nicht mehr. Während Verhandlungen über die Filmrechte am Altersroman verstarb Vollmoeller Oktober 1948 in Hollywood in Alla(h)s Garden, dem Hotel, das Alla Nazimovas Residenz in Hollywood gewesen war. Alla war Vollmoellers erste „Entdeckung“, der er zu Starruhm verhalf.
Seine Bedeutung für die deutsche Literatur, den deutschen Film, das deutsche Theater, den transatlantischen Kulturaustausch arbeitet die aktualisierte, erweiterte und überarbeitete Biografie heraus. Das Standardwerk über und zu Karl Vollmoeller.
Frederik D. Tunnat: Karl Vollmoeller – Dichter und Kulturmanager – Eine Biographie, Edition Vendramin - Großformat, 533 S., ISBN 978-9463865210, geb. 38,- Euro, ISBN 978-9463865241 Broschur 28,- Euro