(openPR) 04. November 2003 - In Kabul ist gestern der Entwurf fuer eine neue afghanische Verfassung vorgelegt worden. Hierzu erklaert Angelika Graf, Mitglied im Ausschuss fuer Menschenrechte und humanitaere Hilfe:
Afghanistan hat mit der Vorlage des Verfassungsentwurfs einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu mehr Demokratie und Stabilitaet getan. Nun bleiben noch knapp sechs Wochen, um nicht nur die afghanische Bevoelkerung von der Wichtigkeit einer neuen Verfassung zu ueberzeugen, sondern auch die internationale Gemeinschaft ueber die Ziele zu informieren.
Beruhigend ist, dass in dem Entwurf die internationalen Abkommen, die von Afghanistan unterzeichnet wurden, ausdruecklich erwaehnt werden. Namentlich aufgefuehrt sollen unter anderem die Charta der Vereinten Nationen und die UN-Menschenrechtskonventionen sein. Hier zeigen sich aber auch gleich die Gefahren, die dieser Verfassungsentwurf neben allen Chancen in sich birgt: Afghanistan hat zwar die CEDAW-Konvention fuer die Eliminierung aller Formen der Diskriminierung von Frauen ohne Vorbehalte unterzeichnet. Die Gleichberechtigung von Maennern und Frauen wird jedoch im Verfassungsentwurf - im Widerspruch zu den Beteuerungen unserer afghanischen Gespraechspartner bei einer Reise des Menschenrechtsausschusses vor drei Wochen - anscheinend nicht erwaehnt. Ich bin sicher: Solange die Gleichberechtigung von Maennern und Frauen nicht ausdruecklich in der Verfassung erwaehnt wird, fehlt eine wichtige Grundlage fuer die Gleichheit der Geschlechter vor dem Gesetz. Daran kann auch die ebenfalls erwaehnte Frauenquote im Parlament nichts aendern.
Und mindestens noch an einem weiteren Punkt muss man zukuenftig genau hinsehen: Wenn der Islam Staatsreligion ist, wie ist dann die in der Verfassung erwaehnte Religionsfreiheit zu verstehen? Werden zum Beispiel afghanische Staatsbuerger mit hinduistischem Glauben in ihrem Land wirklich frei und ohne Pressionen leben koennen? Oder beschraenkt sich die Religionsfreiheit wie in manch anderen islamischen Staaten nur auf die Angehoerigen der so genannten Buchreligionen, also auf Christen und Juden?
Wir werden in den naechsten Wochen beziehungsweise spaetestens bei der Verfassungs-Loya-Jirga ab dem 10. Dezember sehen, ob die Ergebnisse der Verhandlungen die Verfassung eher zu einer Chance oder zu einem Risiko fuer die demokratische Entwicklung des Landes werden lassen. Zur Zeit ueberwiegen trotz aller Vorbehalte noch die Chancen.