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Provokativ, entbehrlich, berührend – Drei Bücher über 1968 und die RAF

12.10.200716:20 UhrKunst & Kultur

(openPR) Klaus Rainer Röhl provoziert gern. Einst gab er auf Kosten von Ost-Berlin die Linkspostille „konkret“ heraus. Heute schreibt er eine wöchentliche Kolumne für die konservative „Preußische Allgemeine Zeitung“, die dem Vertriebenenmilieu zuzurechnen ist. Sei Buch „Linke Lebenslügen“ erschien erstmals 1994, in einer erweiterten Neuausgabe dann 2001. Röhl rechnet mit alten Weggefährten ab. Die 68er Bewegung, so seine These, habe außer dem Aufkommen von Jeans-Hosen und lockereren Umgangsformen nichts Positives aufzuweisen. Schlimmer noch, letztlich führte die Entwicklung, die schon Anfang der 60er Jahre ihren Anfang nahm, direkt in den Terror der so genannten „Rote Armee Fraktion“ (RAF).

Es war eine gezielte Provokation, dass der 1928 geborene Jugendfreund des Lyrikers Peter Rühmkorf im Jahr 1993 von dem ins Zwielicht geratenen Historiker Ernst Nolte promoviert wurde. In „Linke Lebenslügen“ überrascht er, weil er dieses Buch dem früh verstorbenen Journalisten Matthias Walden widmet. Walden, der vor seiner Flucht in den Westen Otto Freiherr von Saß hieß, galt der bundesrepublikanischen Linken als Hassfigur und „Springer-Knecht“.

Von Ulrike Meinhof bis Ernst Nolte

Erst 1986 – im Jahr des Historikerstreits – brach Röhl nach eigenen Angaben mit der sozialistischen/kommunistischen Heilslehre. Mittlerweile steht für ihn fest: „Die Glaubwürdigkeit der deutschen Intellektuellen von heute hat viel damit zu tun, ob sie zuzugeben bereit sind, wie sehr Springer und Matthias Walden in allen Punkten recht behalten vor der Geschichte.“

Wie sehr der Autor, der als Wachmann im KZ Struthof gearbeitet hat, mit seinen ehemaligen Gesinnungsgenossen ins Gericht geht, zeigt sich daran, dass er ihnen noch nicht einmal den „Antifaschismus“ abnimmt. Er nennt ihn eine linke Lebenslüge und gibt sich als Verfechter der Totalitarismustheorie.

Der „lange Marsch in die Toskana“ blieb nicht ohne schlimme Folgen, so Röhl. Schon die Befreiung der Sexualität - angestoßen durch die revoltierenden Studenten – hatte ihre Schattenseiten. Die Familie als Fundament der Gesellschaft sollte zerstört werden. Besonders prekär war der Beitrag dieser Bewegung, wenn sie auf die Befreiung der kindlichen Sexualität abzielte. Das sehr eindeutige Protokoll der „Kommune 2“ (K2), aus dem Röhl zitiert, liest sich wie ein Aufruf zum Kindesmissbrauch. In der Unterstützung gewalttätiger Guerillagruppen in der „Dritten Welt“ zeigten die vermeintlichen Friedensfreunde ebenfalls ihr hässliches Gesicht.

Der FAZ-Redakteur Nils Minkmar hat die Tragik im Leben des Klaus Rainer Röhl auf den Punkt gebracht: „Röhl war Partner in einer der bestdokumentierten deutschen Ehen, leider in einer unvorteilhaften Rollenzuschreibung. Die Ulrike (Meinhof; A. L.) war die Lichtgestalt, tragisch verführt, er aber wahlweise Röhl das Schwein, Röhl der Arsch, Röhl der Verräter.“ Röhl betreibt eine Art „Ehrenrettung“ für die Terroristin Meinhof, die er als „unbequeme Intellektuelle“ und „einzige geistige Persönlichkeit der ganzen RAF beschreibt“.

Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Zwillinge des geschiedenen Ehepaars Röhl/Meinhof von den Linksterroristen entführt und in ein palästinensisches Waisenlager gebracht werden sollten. Er selbst sollte ermordet werden. Am Ende bleibt die Frage: „Wie aber konnte es geschehen, dass eine asoziale, heterogene Gruppe von psychisch Gestörten von nur durchschnittlicher Intelligenz, als Illegale eher dilettantisch arbeitend, theoretisch verludert und körperlich heruntergewirtschaftet, jahrzehntelang das Land in eine Art Ausnahmezustand versetzten?“ Röhl zufolge liegt dies auch an der damaligen Vorherrschaft des „Hamburger Meinungskartells“ (Spiegel, Zeit und Stern), das sich oft mit Blick auf die Revoluzzer fragte: „Die tun etwas – was tun wir?“

Gilcher-Holtey überzeugt nicht

Von gänzlich anderem Zuschnitt ist Ingrid Gilcher-Holteys schmales Buch „Die 68er Bewegung – Deutschland – Westeuropa – USA“. Der Untertitel klingt ziemlich seltsam. Die Unterteilung in Deutschland und Westeuropa leuchtet nicht ein. Die Autorin ist Geschichtsprofessorin in Bielefeld, ihr Buch eine Einführung in die Thematik. Es handelt sich also um zwei völlig unterschiedliche Werke. Auf der einen Seite das Erinnerungsbuch eines polemischen Augenzeugen, dessen Feder an seinem literarischen Vorbild Tucholsky geschult ist. Manche zotigen Sprüche zu den Themen Sex, Frauenbewegung und Drogen sind durchaus entbehrlich. Zum anderen das eher theoretisch angelegte Werk einer deutschen Professorin.

Eine Rezensentin hat Gilcher-Holtey vorgeworfen, ihr Buch sei „weder eine kompetente Einführung in theoretische Ansätze zur Betrachtung der 68er Bewegung noch eine anschauliche Chronologie der Ereignisse für Einsteiger. Neu und anregend sei es schon gar nicht. Zwei Dinge fallen einem bei der Lektüre ins Auge. Die Verfasserin verfügt über keine elegante Feder. Ein Bespiel: „Das Hauptaugenmerk des Bundesverstands des SDS in Frankfurt ist jedoch, während die Proteste an der FU Berlin aufkeimen, auf ein anderes Problem gerichtet, das gleichermaßen die Grundrechtsproblematik aufgreift, allerdings auf einer anderen als der universitären Ebene.“

Auch andere Stilblüten belegen eindrucksvoll das sprachliche Unvermögen Gilcher-Holteys. Problematischer erscheinen jedoch die Werturteile, welche die Autorin ausspricht. So behauptet sie, dass die internationale 68er Bewegung in den USA, Frankreich, Italien und der Bundesrepublik „über alle nationalen Differenzen hinweg – eine auf Ausweitung von Partizipationschancen ausgerichtete Bewegung“ war. Was ist mit dem intoleranten Charakter dieser selbst ernannten linken Elite? Wie war es um die Wahrung der Partizipationschancen der „Scheißliberalen“ bestellt?

Gilt die 68er Bewegung wirklich als Beleg für die „Verwestlichung“ der politischen Kultur in der Bundesrepublik? Waren die angeblich wachsenden polizeilichen und strafrechtlichen Sanktionen die Ursache für das Abtauchen radikaler Gruppen in den Untergrund? Kann man das Schlüsseljahr 1968 und den Terrorismus der 70er Jahre wirklich so strikt voneinander trennen, wie die Verfasserin es nahe legt? Kurzum: Die Lektüre hinterlässt einen schalen Nachgeschmack.

Endlich bekommen die Opfer eine Stimme und ein Gesicht

Wer etwas Neues erfahren will, wer nicht immer nur die Täter, sondern endlich einmal die Opfer des Linksterrorismus und ihre Angehörigen ins Visier nehmen will, sollte unbedingt zu Anne Siemens’ beeindruckendem Buch „Für die RAF war er das System, für mich der Vater“ greifen. Es ist ein notwendiges Buch, keine leichte Lektüre, manchmal brennen einem beim Lesen die Tränen in den Augen.

Das 2007 im Piper-Verlag erschienene Buch hat mehrere Vorteile. Es ist gut geschrieben. Die 1974 geborene Autorin arbeitet als Journalistin. Das merkt man ihrem Stil an, der sich wohltuend von dem Gilcher-Holteys abhebt. Außerdem bestechen die Interviews mit den Hinterbliebenen aus den Familien von Mirbach, Hillegaart, Ponto, Schleyer und von Braunmühl ebenso wie die der damaligen Entführungsopfer der „Landshut“ durch ihre Authentizität. Ergänzt wird der Band durch ein Interview mit dem früheren Bundeskanzler Helmut Schmidt.

Insbesondere jüngere Leser sollten zu diesem Buch greifen. Einleitend beschreibt Siemens auf knapp 30 Seiten die Geschichte der RAF, die in den 28 Jahren ihres „bewaffneten Kampfes“ 34 Menschen getötet hat. Hinzu kamen viele Menschen, die durch den Terror an Leib und Seele verletzt wurden, 500 Millionen Mark Sachschaden, 31 Banküberfälle mit einer Beute von sieben Millionen Mark, 180 gestohlene Pkw und so weiter. Diese nüchterne Aufzählung zeigt mehr als alle moralische Empörung: Die Angehörigen der RAF waren „ganz normale“ Kriminelle, Diebe und Mörder, die sich ein politisches Deckmäntelchen umhängten oder von ihren Sympathisanten in der Medien- und Intellektuellenszene umhängen ließen.

Die Zeugnisse, die in diesem Buch zusammengefasst sind, erschüttern. Die Ermordeten waren eben nicht anonyme Mitglieder eines „Schweinesystems“, sondern liebevolle Eltern, gute Christen, Personen, die sich kritisch mit der NS-Vergangenheit auseinandergesetzt hatten und durchaus bereit waren, mit ihren Gegnern zu diskutieren. Entscheidend auch: Ihre Nachkommen wollen keine Rache, sondern nur Gerechtigkeit. Es muss schwer für sie zu ertragen sein, dass einige ehemalige Terroristen heute Geld bekommen für Auftritte in den Medien oder für ihre Mitarbeit an Dokumentationen über den „deutschen Herbst“, so der verniedlichende Ausdruck für den blanken Terror“.

Andreas von Mirbach hieß ein Todesopfer beim Überfall auf die deutsche Botschaft in Stockholm. Nachdem die Terroristen den Militärattaché von hinten mit fünf Schüssen in Kopf, Rücken, Becken und Beine niedergestreckt hatten, warfen sie den noch Lebenden mit dem Kopf voran die Treppe herunter. Dort lag er dann schwer röchelnd auf den Treppenstufen, bis er endlich nach einer Stunde von zwei nur mit Unterhosen bekleideten schwedischen Beamten geborgen werden konnte. Die Rettung kam jedoch zu spät. Es sind genau diese Mörder, die heute larmoyant frühzeitige Begnadigungen vom deutschen Staat erhoffen.


Literaturhinweise:

Klaus Rainer Röhl: Linke Lebenslügen oder Der lange Marsch durch die Illusionen. Universitas Verlag: München 2001. 206 Seiten. ISBN 3 – 8004 - 1430 – 9.

Ingrid Gilcher-Holtey: Die 68er Bewegung. Deutschland – Westeuropa – USA. Beck-Verlag: München 2001. 136 Seiten. ISBN 3 – 406 – 47983 – 9.

Anne Siemens: Für die RAF war er das System, für mich der Vater. Die andere Geschichte des deutschen Terrorismus. Piper-Verlag: München-Zürich 2007. 287 Seiten. ISBN 978 – 3 – 492 – 05024 1.

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