openPR Recherche & Suche
Presseinformation

Fluchtmigration als jahrelangen Prozess verstehen

17.11.202509:55 UhrPolitik, Recht & Gesellschaft

(openPR) Das dreijährige Projekt „Stay, return, or move on Comparing the life strategies of forced migrants in Colombia, Jordan, Mexico, and Turkey as transit countries“ wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert und schloss mit einem Symposium in Bochum ab. Neben Fachzeitschriftenaufsätzen wird ein Buch in Englisch im kommenden Frühjahr bei Edward Elgar erscheinen. Mehr Informationen auf der Projektwebseite: https://www.migration-violence.org/

Die Entscheidung, die Heimat zu verlassen, muss häufig spontan gefasst werden. Die Fluchtmigration selbst ist ein oft mehrere Jahre andauernder Prozess, in dem sich die Lebensumstände, politischen Entwicklungen und Motive für ein Weiterwandern kontinuierlich verändern. „Die Umfrageergebnisse zeigen, dass zwischen dem Zeitpunkt, als die Befragten ihren Wohnort verlassen mussten, und dem Datum der Befragung im Schnitt mehr als sechs Jahre vergangen sind – obwohl die meisten angaben, dass sie anfangs gedacht hatten, ihr Heimatland nur für einige Monate verlassen zu müssen“, berichtet Studienleiter Prof. Dr. Ludger Pries von der Ruhr-Universität Bochum.

Gewalterfahrungen verunsichern

Rund ein Viertel der Befragten gab an, während ihrer ersten Migrationsbewegung Gewalt in verschiedenen Formen erlebt zu haben. Diese reichen von Finanzbetrug, finanzieller Ausbeutung oder verbalen Drohungen bis hin zu Entführung, Erpressung, bewaffneten Überfällen oder Inhaftierung. Dabei treten Soldaten und Sicherheitsbehörden, terroristische Gruppen und Milizen, aber auch Nachbarn, Vorgesetzte und Passant*innen sowie Kleinkriminelle und in Gruppen organisierte Kriminelle und in Einzelfällen sogar Mitarbeitende von NGOs als Widersacher auf. „Diese Befunde sind wichtig, weil Gewalterfahrungen in Transitländern den Wunsch nach Weitermigration in Länder bestärken, in denen mehr Sicherheit für Leib und Leben gegeben ist“, sagt Prof. Dr. Stephanie Schütze von der FU Berlin. „Die Studienergebnisse zeigen, dass der Globale Norden nicht vorrangig wegen der dortigen Wohlfahrts- und Sozialsysteme Ziel von Fluchtmigration ist, sondern wegen der erwarteten Sicherheit und Berechenbarkeit der allgemeinen Lebensumstände.“

Was Entscheidungen beeinflusst

Was trägt noch zu der Entscheidung bei, zu bleiben, zurückzukehren oder weiter zu migrieren? Die Forschenden haben die Ergebnisse der Befragungen und von 70 autobiografischen Erzählungen ausgewertet und geclustert. Hilfreich dabei ist das sogenannte VESPER-Modell, demzufolge Fluchtmigrierende ihre Lebenswirklichkeit in sechs Dimensionen gestalten: Verflechtungen beziehungsweise sozialen Netzwerken, Erfahrungen, Sozialisation, Präferenzen, Erwartungen und Ressourcen. Alle Aspekte tragen zur weiteren Planung des Lebens bei. Beispiel: Befragte, die konkrete Pläne für ihre Weitermigration angaben, kommunizieren weniger häufig mit Familienmitgliedern im aktuellen Transitland, dafür aber häufiger intensiv mit Familienmitgliedern im Herkunfts- und möglichen weiteren Ankunftsland. Wer im Transitland seltener Gewalt erlebt, plant häufiger als statistisch erwartet, in diesem Land zu bleiben. Menschen, die traditionelle familienbezogene Werte stark schätzen, planen eher zu bleiben, während diejenigen mit Plänen weiterzuziehen deutlich häufiger individuelles Vorwärtskommen in Bildung und Arbeit für wichtig halten.

Mehr Verständnis und Schutz für Migrierende

„Um Fluchtmigration angemessen verstehen und erklären zu können, ist eine Längsschnittperspektive auf den gesamten Lebenslauf, vor allem auf die Kontextbedingungen vor Verlassen des Herkunftslandes und während der forcierten Migration, notwendig“, so Ludger Pries. „Forcierte Migrierende verdienen Verständnis und besonderen Schutz.“ Da sie nach berechenbaren und nachhaltigen Lebenschancen für ein selbständiges Leben streben, sollten ihnen in Transit- und Ankunftsländern angemessene Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe, vor allem an Beschäftigung, Bildung und Kultur geboten werden, folgern die Forschenden. Da sie oft ohne gültige Aufenthaltsdokumente migrieren müssen, sollten mehr Wege der Legalisierung eröffnet werden. Forcierte Migrierende sollten mehr Möglichkeiten erhalten, ihren Lebensschicksalen und Forderungen in der Öffentlichkeit die gebührende Aufmerksamkeit zu verschaffen, zum Beispiel durch regelmäßige Erhebungen und Reports an nationale und internationale Gremien und durch Beiräte oder Vertretungsorgane auf internationaler und nationaler Ebene.

Zahlen und Fakten

Die Zahl der weltweit gewaltsam Vertriebenen hat sich von etwa 40 Millionen in den 1990er-Jahren auf über 123 Millionen Ende 2024 verdreifacht. Mehr als die Hälfte aller Fluchtmigrierenden sind innerhalb des eigenen Landes Vertriebene. Diejenigen, die einen amtlichen Asylstatus beantragen, machen weltweit nur etwa sieben Prozent aus. Mehr als zwei Drittel aller forcierten Migrierenden leben in Nachbarstaaten ihrer Herkunftsländer. Im Jahr 2024 wurden in Deutschland knapp 230.000 Erstanträge auf Asyl gestellt. Zusammen mit den etwa 1,2 Millionen ukrainischen Kriegsflüchtlingen machten diese Fluchtmigrierenden in Deutschland Ende 2024 weniger als zwei Prozent der Wohnbevölkerung aus – in der Türkei waren es vier, in Jordanien knapp sechs und im Libanon sogar zwölf Prozent. Allein für die sechs Länder Sudan, Kolumbien, Syrien, Demokratische Republik Kongo, Jemen und Afghanistan wurden mehr als 46 Millionen Schutzsuchende gezählt.

wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Ludger Pries
Fakultät für Sozialwissenschaft
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: +49 151 14072302
E-Mail: E-Mail

Diese Pressemeldung wurde auf openPR veröffentlicht.

Verantwortlich für diese Pressemeldung:

News-ID: 1296540
 145

Kostenlose Online PR für alle

Jetzt Ihren Pressetext mit einem Klick auf openPR veröffentlichen

Jetzt gratis starten

Pressebericht „Fluchtmigration als jahrelangen Prozess verstehen“ bearbeiten oder mit dem "Super-PR-Sparpaket" stark hervorheben, zielgerichtet an Journalisten & Top50 Online-Portale verbreiten:

PM löschen PM ändern
Disclaimer: Für den obigen Pressetext inkl. etwaiger Bilder/ Videos ist ausschließlich der im Text angegebene Kontakt verantwortlich. Der Webseitenanbieter distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten Dritter und macht sich diese nicht zu eigen. Wenn Sie die obigen Informationen redaktionell nutzen möchten, so wenden Sie sich bitte an den obigen Pressekontakt. Bei einer Veröffentlichung bitten wir um ein Belegexemplar oder Quellenennung der URL.

Pressemitteilungen KOSTENLOS veröffentlichen und verbreiten mit openPR

Stellen Sie Ihre Medienmitteilung jetzt hier ein!

Jetzt gratis starten

Weitere Mitteilungen von idw - Informationsdienst Wissenschaft

Bild: Freie Universität vergibt zum ersten Mal Preis für wissenschaftliche IntegritätBild: Freie Universität vergibt zum ersten Mal Preis für wissenschaftliche Integrität
Freie Universität vergibt zum ersten Mal Preis für wissenschaftliche Integrität
Die persönliche Integrität von Forschenden ist Grundlage für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft. Mit dem „Rosalind-Franklin-Preis“ zeichnet die Freie Universität Berlin Wissenschaftler*innen aus, die sich in besonderem Maße für eine transparente, nachvollziehbare und ethische Forschung engagieren. Der Preis für wissenschaftliche Integrität ist nach Rosalind Franklin (1920-1958) benannt. Die britische Biochemikerin war maßgeblich an der Entschlüsselung der DNA-Struktur Anfang der 1…
Einkommensungleichheit seit 2018 weiter angestiegen – Vertrauen in staatliche Institutionen sinkt mit Einkommen
Einkommensungleichheit seit 2018 weiter angestiegen – Vertrauen in staatliche Institutionen sinkt mit Einkommen
Die Quote der Menschen, die in Armut leben, liegt ebenfalls bei einem Höchstwert (detaillierte Daten unten und in den Abbildungen in der pdf-Version dieser PM; Link unten). Einen erheblichen Einfluss hatte, dass die ausgleichende Umverteilungswirkung durch Steuern und Sozialtransfers seit 2010 tendenziell abgenommen hat. Insgesamt haben somit Personen mit niedrigen Einkommen von der relativ positiven Wirtschafts- und Einkommensentwicklung im vergangenen Jahrzehnt oft nur vergleichsweise wenig abbekommen – auch wenn der gesetzliche Mindestlohn…

Das könnte Sie auch interessieren:

Positive Entwicklung auf dem Ausbildungsmarkt, doch weiterhin beträchtliche regionale Unterschiede
Positive Entwicklung auf dem Ausbildungsmarkt, doch weiterhin beträchtliche regionale Unterschiede
… auf 603.500), ist Folge des zunehmenden Ausbildungsinteresses der nach Deutschland geflüchteten Menschen. Die BA registrierte 26.400 Personen im Kontext von Fluchtmigration, die 2017 eine Berufsausbildung aufnehmen wollten und auch die Voraussetzungen hierfür mitbrachten. Von diesen konnten schließlich 14.700 der offiziellen Ausbildungsplatznachfrage …
Bild: Geflüchtete in Integrationskursen: Frauen mit Kindern warten am längsten auf den KursBild: Geflüchtete in Integrationskursen: Frauen mit Kindern warten am längsten auf den Kurs
Geflüchtete in Integrationskursen: Frauen mit Kindern warten am längsten auf den Kurs
… Erkenntnissen entscheidend zur Weiterentwicklung von Integrationsmaßnahmen auf Bundesebene bei. Weitere Forschungsschwerpunkte sind u. a. Erwerbs- und Bildungsmigration, Fluchtmigration, Rückkehr und sicherheitsrelevante Aspekte der Zuwanderung. Damit leistet das BAMF-Forschungszentrum einen grundlegenden Beitrag zum Informationstransfer zwischen Wissenschaft, …
Einkommensungleichheit seit 2018 weiter angestiegen – Vertrauen in staatliche Institutionen sinkt mit Einkommen
Einkommensungleichheit seit 2018 weiter angestiegen – Vertrauen in staatliche Institutionen sinkt mit Einkommen
… 2022 kletterte er auf einen neuen Höchststand von 0,310 (Abbildung 3 in der pdf-Version dieser PM). Der Trend zu mehr Ungleichheit zeigt sich unabhängig von der Fluchtmigration im letzten Jahrzehnt, er fällt allerdings schwächer aus, wenn man die Einkommensdaten geflüchteter Menschen bei der statistischen Analyse ausklammert. Tut man das, zeigt sich auf …
Baden-Württemberg wirkt am Aufbau des „Dt. Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung“ mit
Baden-Württemberg wirkt am Aufbau des „Dt. Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung“ mit
… es in den verschiedenen europäischen Ländern und welche Ursachen liegen dem zu Grunde? Diese und andere Fragen sind durch den starken Anstieg der Fluchtmigration und das anhaltend hohe Niveau globaler und europäischer Wanderungsbewegungen in den Mittelpunkt der politischen und gesellschaftlichen Diskussion in Deutschland gerückt. Am Mannheimer Zentrum …
Verborgene Potenziale erschließen - Berufseinstieg für internationale Fachkräfte in Kitas und Schulen erleichtern
Verborgene Potenziale erschließen - Berufseinstieg für internationale Fachkräfte in Kitas und Schulen erleichtern
… sind 136.000 Menschen mit einem im Ausland erworbenen pädagogischen Berufsabschluss nach Deutschland zugewandert, ein Teil von ihnen kam auf dem Wege der Fluchtmigration. „Diese Personen könnten den Fachkräftebedarf in Kitas und Schulen reduzieren und zugleich dazu beitragen, die Einrichtungen diversitätssensibler aufzustellen. Doch nur wenigen gelingt …
Bild: Prozesse, Workflows und/oder Formulare mit Excel einführen und sofort live in der Cloud testenBild: Prozesse, Workflows und/oder Formulare mit Excel einführen und sofort live in der Cloud testen
Prozesse, Workflows und/oder Formulare mit Excel einführen und sofort live in der Cloud testen
Zug, 6. August 2012. Die Action Solutions AG hat ihre Business Interaction Management Lösung BIMIXS um ein neues Feature erweitert. Neu können auch strukturierte Prozesse/Workflows in der Case Management Lösung abgebildet werden, ohne dass der Kunde dies ausprogrammieren muss. Das einzige Knowledge, welches dafür erforderlich ist: Der User muss den eigenen …
Sie lesen gerade: Fluchtmigration als jahrelangen Prozess verstehen