(openPR) Nur Stroh im Kopf haben. Leeres Stroh dreschen, dumm wie Stroh, über einen Strohhalm stolpern. Wie wenig schmeichelhaft ist das Bild, das die deutsche Sprache vom Stroh widerspiegelt! Wie ist es bei den Menschen? Was fällt einem als erstes ein, wenn man an Stroh denkt? Kunst, Architektur, Mode, Design? Bestimmt nicht. Stroh ist aber nicht nur ein Nebenprodukt des Getreideanbaus, sondern ein seit Jahrtausenden sehr vielfältig einsetzbares Material. Es wird einerseits in zahlreichen Kulturen traditionell angewendet. Man muss dabei nur an Strohdächer, Mauern aus Lehm und Stroh, Matten oder Bienenkörbe denken. Anderseits ist es ein Material der Zukunft, das wegen seiner Nachhaltigkeit zum Beispiel in modernen Bauten Anwendung findet. Strohballen werden als Dämmungsmaterial benutzt, Paneelen aus gepresstem Stroh dienen dem Bau von Wänden oder der Herstellung von Möbeln. Mit anderen Naturmaterialen vermischt, ist es für Geschirr eine gute Alternative zum Kunststoff.
Nicht nur in der Architektur und Inneneinrichtung spielt Stroh eine nicht unbeachtliche Rolle, auch in Bereichen wie Bekleidung und Mode schafft das Stroh den Spagat zwischen Tradition und zeitgenössischer Schöpfung. Hier könnte man zahlreiche Beispiele nennen, wie den Nón lá, den vietnamesischen Kegelhut, den Panama-Hut, Klassiker unter den Hüten oder Kreationen von Jean-Paul Gaultier in seiner Frühling-Sommer Kollektion 2006.
Große Häuser wie Louis Vuitton, Van Cleef & Arpels oder Guerlain haben die Einzigartigkeit des Materials erkannt und empfangen ihre Kundinnen und Kunden in Räumen, deren Wände oder Einrichtung mit feinster Strohmarketerie verziert werden. Andere wie Cartier, Hermès oder Armani Casa bieten exklusive Produkte aus Strohmarketerie an. Hinter diesen Einlegearbeiten aus Stroh stehen Kunsthandwerker und Kunsthandwerkerinnen, die wissen, wie man die Einzigartigkeit dieses Materials in seiner voller Pracht zum Vorschein bringt. Durch ihre aufwendige Arbeit entsteht ein faszinierendes Spiel mit dem Licht an der Oberfläche des Strohs.
Mélanie Richet gehört zu diesen Kunsthandwerkern, die sich der Strohmarketerie widmen. Sie entwirft und fertigt Unikate an, vom Schmuck über Gegenstände und Wanddekorationen bis hin zu Kleinmöbeln. Halm für Halm entstehen so ihre Kreationen. Dazu benutzt sie ausschließlich Roggenstroh, das der Bauer Jean-Luc Rodot aus Frankreich extra für Strohmarketerie anbaut. Sein Roggen ist im Gegensatz zu dem Roggen, der auf den Getreidefeldern zu sehen ist, eine alte Sorte, die bis zu zwei Meter hoch wird. Der Roggen wird gemäht, wenn er noch grün ist. Er trocknet auf dem Feld, bevor er gebündelt wird. Diese hohen Bündel werden hochgestellt und als Pyramiden gebunden, wie man es aus früheren Zeiten kennt, damit das Stroh fertig trocknet. Nach dem Trocknen wird das Stroh sortiert, und die Ähren abgeschnitten. Es folgt eine sehr langwierige Arbeit auf dem Bauernhof. Jeder Strohhalm wird in die Hand genommen, und in drei Stücke geschnitten, bevor das Stroh wieder gebündelt und mit Textilfarben gefärbt wird. Diese gefärbten Strohhalme bilden das Ausgangsmaterial für Mélanie Richets Arbeiten. Jeder Halm wird von ihr per Hand aufgemacht und geglättet. Danach werden Halm für Halm die Strohhalme geklebt, wieder geglättet und mit einem Skalpell zurechtgeschnitten. Nach und nach entsteht das Muster, und jedes Mal erlebt Mélanie Richet, was sie "die Faszination Stroh" nennt. Das Stroh bekommt seinen unverwechselbaren Glanz, der etwas Mineralisches und manchmal auch fast Metallisches hat, aber gleichzeitig auch die Wärme des Holzes besitzt - auch beim Anfassen.
Oft fragt man sie, warum sie sich für dieses Material und diese sehr zeitaufwendige Technik entschieden hat. Die Antwort fällt ihr leicht. Sie braucht nur eine ihrer Arbeiten zu nehmen, und sie leicht zu bewegen. Das Licht fängt sofort an, auf der Oberfläche zu gleiten, die Farben ändern sich je nach Lichteinfall wie bei einem Hologramm, das Muster wird lebendig. Ihre Antwort lautet dann: "Aus diesem Grund." Darüber hinaus gefällt ihr bei der Strohmarketerie, dass man keine Maschinen und nur wenige einfache Werkzeuge braucht. "Meine Werkzeuge sind genauso bescheiden wie mein Material", sagt sie. Was sie auch sehr an der Technik der Strohmarketerie schätzt, ist die unendliche Vielzahl an möglichen Motiven. "Die Grenze ist dabei die eigene Fantasie und natürlich auch die Grenzen des Materials", sagt die Französin, die ihre Werkstatt in einer kleinen Seitenstraße der Schweinfurter Innenstadt betreibt. Stroh ist ein Material mit Charakter, das nicht alles mit sich machen lässt, was auch Teil seines Reizes ausmacht. Besonders gern mag sie in dieser Arbeit die extreme Genauigkeit, mit der man arbeiten muss. Und sie liebt es, winzige Details zu bearbeiten.
Wenn man betrachtet, wie vielfältig Stroh ist und wie viel Potenzial darin steckt, kann man es nur als sehr schade empfinden, dass dieses Material so verkannt ist. "Im Grunde sollte man es als Kompliment nehmen, wenn man zu hören bekommt, man hätte nur Stroh im Kopf", sagt Mélanie Richet abschließend.