(openPR) Besprechung des Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom 25.10.2007, Aktenzeichen 8 AZR 593/06
Der Begriff wegweisend wird bei der Besprechung von Urteilen geradezu inflationär verwendet. Beim zu besprechenden Urteil ist diese Bewertung allerdings angebracht. Worum ging es?
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte sich mit der Rechtsfrage zu befassen, wann der Arbeitgeber einem durch seine Vorgesetzten gemobbten Arbeitnehmer Schmerzensgeld schuldet. Noch die Instanzgerichte hatten eine Haftung des Arbeitgebers deshalb abgelehnt, weil ihrer Ansicht nach die mobbenden Kollegen kein Verschulden an der Gesundheitsschädigung des gemobbten Opfers traf. Für die mobbenden Vorgesetzten sei nicht erkennbar gewesen, dass durch ihr vertragswidriges Verhalten die psychische Krankheit des Mobbingopfers ausgelöst werde. Sie hätten mit der psychischen Erkrankung des Gemobbten nicht rechnen müssen. Diesem Standardeinwand der Mobber in fast jedem zweiten Mobbingprozess erteilt das Bundesarbeitsgericht nun eine Absage, indem es für Mobbingfälle klarstellt: Das Verschulden des Schädigers muss sich nur auf die Pflicht- und Rechtsgutverletzung, nicht hingegen aber auch auf den eingetretenen Schaden beziehen. Mit dem oben genannten Urteil wird daher eine wesentliche Verbesserung der Rechtsstellung von Mobbingopfern und damit eine erhebliche Vereinfachung der Durchsetzung von Schmerzensgeldansprüchen bewirkt.
Auch in einem weiteren zentralen Punkten entschied das Bundesarbeitsgericht mit seinem epochalen Urteil zu Gunsten der Mobbingopfer. Unter Beibehaltung der vom LAG Thüringen entwickelten Grundsätze über die Kausalität von Mobbinghandlungen und Erkrankung wurde eine eigenständige Haftung des selbst nicht mobbenden Arbeitgebers für Mobbing aus den Gründen der Verletzung eigener arbeitsvertraglicher Verpflichtungen zumindest für möglich gehalten. Schließlich äußerte das BAG erhebliche Zweifel an den in Arbeitsverträgen häufig zu findenden Klauseln, wonach Ausschlussfristen die Geltendmachung sämtlicher Ansprüche aus einem Arbeitsverhältnis betreffen und deshalb nach der instanzgerichtlichen Rechtsprechung auch Schmerzensgeldansprüche wegen Mobbings umfassen sollen.
I. Dem Urteil lag der folgende Sachverhalt mit typischen Mobbinghandlungen zu Grunde.
Der Kläger war bei der Beklagten als erster leitender Oberarzt beschäftigt. Nach einem Wechsel in der Führung der Klinik wurde ein externer Bewerber statt des Klägers zum neuen Chefarzt ernannt. Der Kläger wurde seitdem durch den neuen Chefarzt systematisch über mehrere Jahre gemobbt. Das nachfolgend skizzierte Mobbing führte zu einer mehrmonatigen Arbeitsunfähigkeit des Klägers. Dieser erkrankte wegen der gegen ihn gerichteten Mobbinghandlungen an Depressionen, die dauerhaft behandelt werden mussten.
Das gegen den Kläger gerichtete Mobbing umfasste die typischen Merkmale vieler Mobbingfälle. Angefangen bei der persönlichen Missachtung des Klägers, der öffentlich im Kollegenkreis geäußerten unberechtigten Kritik an den fachlichen Fähigkeiten, dem bewussten Verleumden im Kollegenkreis bis hin zu offensichtlichen Schikanen, wie unberechtigten Abmahnungen und unrechtmäßigen Urlaubssperren.
Nachdem der Kläger die gegenüber ihm erhobenen Vorwürfe nicht hinnehmen wollte, wurde der Kläger anschließend auch in seiner Persönlichkeit herabgesetzt. Dem Kläger wurden Teile seines Aufgabengebietes entzogen, er wurde nicht mehr zu Dienstbesprechungen eingeladen und sollte seinen dienstlich benötigten Schreibtisch für eine Teilzeitkraft räumen. Weiterhin sollte der Kläger als einziger Oberarzt sein Arztzimmer, in dem auch Behandlungen durchgeführt werden, mit einem Kollegen teilen. Der Kläger wurde schließlich durch seinen Vorgesetzten wie ein Berufsanfänger behandelt und vor seinen Mitarbeitern gedemütigt.
In der letzten Phase der Eskalation wurde der Kläger von seinem Vorgesetzten öffentlich als „Handlanger“ bezeichnet und nur noch mit Arbeiten beauftragt, die weit unter seinem Ausbildungs- und Leistungsstand lagen.
Wie leider in vielen Mobbingfällen zu beobachten, waren die Versuche des Klägers, sich gegen das Mobbing innerbetrieblich zur Wehr zu setzen, nicht erfolgreich. Angesichts der gravierenden Beeinträchtigungen versuchte der Kläger, unter anderem für die erlittenen Persönlichkeitsverletzungen Schmerzensgeld zu erhalten, und war erfolgreich.
Nachfolgend werden die für das Zusprechen des Schmerzensgeldes wesentlichen Entscheidungsgründe sowie die positiven Rechtsfolgen für Mobbingopfer zusammengefasst wiedergegeben.
II. Entscheidungsgründe
1.Das BAG hat in seiner oben genannten Entscheidung ausdrücklich festgestellt, dass neben der Zurechnung eines Verschuldens der Erfüllungsgehilfen über § 278 BGB auch eine eigene Haftung des Arbeitgebers aus dem Verstoß gegen arbeitsvertragliche Organisations-/Fürsorgeverpflichtungen oder aus Delikt nach § 823 in Betracht kommt. Für die Mobbingopfer bedeutet diese ausdrückliche Feststellung, dass der Arbeitgeber nicht durch bloße Untätigkeit bei Mobbing im Unternehmen eine eigene Haftung vermeiden kann. Ein Arbeitgeber, der nicht auf die Beschwerden seiner Arbeitnehmer nach § 84 BetrVG oder § 85 BetrVG reagiert, kann unter Umständen bereits deshalb zur Zahlung von Schmerzensgeld an die Arbeitnehmer verpflichtet sein.
2. Kernpunkt der Entscheidung ist die Feststellung, dass der mobbende Vorgesetzte nicht in den Genuss des Haftungsprivilegs nach § 105 I SGB VII sowie der Haftungsprivilegierung nach den Grundsätzen der Arbeitnehmerhaftung kommen kann. Unter dem Begriff Haftungsprivileg wird die Begrenzung oder Freistellung von Haftung verstanden. Die betrieblichen Gefahren, die durch einen Mobber gesetzt wurden, können nicht dazu führen, dass der Gemobbte seine Ansprüche verliert. Diese Beschränkung der Haftung bleibt auf Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten beschränkt. Auch eine Einschränkung der Haftung des mobbenden Vorgesetzten nach den Grundsätzen der Einschränkung der Arbeitnehmerhaftung komme nicht in Betracht. Hintergrund der sogenannten Arbeitnehmerhaftung ist, dass bei der Haftung für Schäden, die der Arbeitnehmer in Ausführung betrieblicher Verrichtungen Dritten zufügt, die allgemeine zivilrechtliche Haftung bei jeder leichten Unachtsamkeit zum finanziellen Ruin des Arbeitnehmers und seiner Familie führen kann. Auch dem sorgfältigsten Arbeitnehmer unterlaufen gelegentlich Fehler. Das Schadensrisiko ist jedoch Teil des vom Arbeitgeber zu tragenden Betriebsrisikos.Bei Mobbingfällen, so erkennt das Bundesarbeitsgericht zutreffend, würde diese Beschränkung der Haftung zu einem widersinnigen Ergebnis führen. Der Arbeitgeber des Mobbers käme zusammen mit dem Mobber in den Genuss der Haftungsbeschränkung, weil dem Arbeitgeber über § 278 BGB lediglich das hiernach zu verneinende Verschulden des Mobbers zugerechnet werden könnte. Damit wäre der Arbeitgeber begünstigt durch ein Schutzgesetzt, welches ausschließlich Arbeitnehmer vor unkalkulierbaren wirtschaftlichen Risiken schützen soll, die der Sphäre des Arbeitgebers zugerechnet werden. Zutreffend hat das BAG daher für den Mobber die volle Haftung festgestellt.
3. Das BAG hat in der genannten Entscheidung die Grundsätze des LAG Thüringen über die Kausalität von Mobbing und anschließenden Gesundheitsbeeinträchtigungen bei zeitlicher Nähe beibehalten. Die adäquat kausale Schadensverursachung durch die Handlungen des Vorgesetzten kann nicht durch die Behauptung erschüttert werden, dass der Kläger vermeintlich bereits gesundheitliche Vorschäden aufwies.
4. In einem kurzen Absatz setzt sich das BAG mit dem Problem der vertraglichen Ausschlussfristen auseinander. In vielen Arbeitsverträgen finden sich Regelungen, wonach die Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsvertrag binnen einer bestimmten Frist geltend zu machen sind. Nach Ablauf der Frist ist die Geltendmachung ausgeschlossen. Bereits aus diesem kurzen Absatz ergibt sich die kritische Position des BAG zum Ausschluss von Schmerzensgeldansprüchen wegen Mobbings mittels arbeitsvertraglicher Ausschlussfristen.
III. Rechtsfolgen für den gemobbten Arbeitnehmer
Gestärkt durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann ein Mobbingopfer nunmehr seine Schmerzensgeldansprüche erheblich einfacher als in der Vergangenheit durchsetzten.
1. Die wesentliche Rechtsfolge für Mobbingopfer ist, das nunmehr neben der Haftung für zugerechnetes Verschulden der mobbenden Erfüllungsgehilfen über § 278 BGB eine eigenständige Haftung des Arbeitgebers in Betracht kommt. Das Mobbingopfer kann nunmehr mit der Aussicht auf Erfolg bereits dann Schmerzensgeldansprüche geltend machen, wenn der Arbeitgeber eigene arbeitsvertragliche Verpflichtungen im Zusammenhang mit Mobbinghandlungen seiner Mitarbeiter nicht erfüllt. Praktisch bedeutsam wird dies immer dann, wenn der Arbeitgeber auf Beschwerden an den Arbeitgeber nach § 84 BetrVG oder an den Betriebsrat nach § 85 BetrVG nicht reagiert oder eine Abhilfe trotz stattgebender Entscheidung des Betriebsrates ablehnt.
2. Bei der Bestimmung des Verschuldens und der Kausalität von Verschulden und Erkrankung bleibt es bei der für das Mobbingopfer günstigen Regelung, wonach die Kausalität immer dann vermutet wird, wenn ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Mobbinghandlungen und Erkrankung besteht. Hinsichtlich des Verschuldens stellt das BAG nunmehr ausdrücklich klar, dass es in den Mobbingfällen keine Begrenzung der Haftung gibt. Damit ist für das Mobbingopfer der Nachweis des Verschuldens wesentlich erleichtert worden, da es nicht mehr ausschließlich auf vorsätzliches Handeln des Mobbers ankommt.
3.Schließlich wird das Mobbingopfer zukünftig mit guter Aussicht auf Erfolg auch dann Schmerzensgeldansprüche geltend machen können, wenn der Arbeitsvertrag Verfallsklauseln aufweist. In vielen Arbeitsverträgen finden sich Klauseln der Gestalt, dass Ansprüche des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsvertrag binnen einer bestimmten Frist geltend zu machen sind. Für den Fall, dass die Frist nicht eingehalten wurde, kann der Anspruch nicht mehr geltend gemacht werden. Wenn man der Andeutung des BAG aus dem zu besprechenden Urteil folgt, wird zumindest der Ausschluss von Schmerzensgeldansprüchen, die im Zusammenhang mit Mobbinghandlungen entstanden sind, zukünftig nicht ohne weiteres durch eine vertragliche Ausschlussklausel nebst Ausschlussfrist zu Lasten des Arbeitnehmers geregelt werden können.
Fazit
Das oben genannte Urteil bietet neben erhöhter Rechtssicherheit für die Mobbingopfer auch eine Vereineinfachung in der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen. Zukünftig wird es für die Opfer von Mobbing einfacher werden, ihre Schmerzensgeldforderungen durchzusetzen. Für die Arbeitgeber bleibt die Erkenntnis, dass bloße Untätigkeit bei Mobbing im eigenen Betrieb unter Umständen Schmerzensgeldansprüche der Mobbingopfer nach sich ziehen kann.
Rechtsanwalt Dr. jur. Frank Sievert, Hamburg, 14.03.2008
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