(openPR) Workshop beim DIN in Berlin zur Multiapplikationskarte
Eine dicke Brieftasche deutet nicht unbedingt auf viel Bargeld hin. Immer mehr Anwendungen, die auf dem Identitätsnachweis fußen und den Alltag prägen - z. B. Zutrittskontrolle, Zeiterfassung, Zahlungsfunktionen - werden heute mittels Chipkarten realisiert, die nicht nur die rein personenbezogenen Angaben, sondern auch andere Daten in erheblichem Umfang speichern können. Die Leistungsfähigkeit dieser Technologie ist so gestiegen, dass die Einführung einer Multiapplikationskarte (MAK) - eine einzige Karte für die verschiedensten Anwendungen - immer öfter als technisch machbare Lösung vorgeschlagen wird. Technisch machbar ist mittlerweile vieles. Nur: ist es auch rechtlich zulässig, wirtschaftlich sinnvoll und für die Nutzer praktikabel?
Rund 100 Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung trafen sich am 13. und 14. Juli 2006 beim DIN in Berlin, um sich über den Stand der MAK-Technik sowie über Richtung und Potenzial möglicher Entwicklungen auszutauschen. Ziel des Workshops war zudem die Klärung der Frage, welchen Beitrag die Standardisierung zu der Verbreitung der Multiapplikationskarte leisten könnte.
Nachdem in mehreren Vortagsblöcken die technologischen Grundlagen, Erfahrungen mit gegenwärtigen Projekten (u. a. aus Österreich und Finnland) sowie die jeweilige Sicht der Provider und Karteninhaber dargelegt wurden, diskutierte man am zweiten Tag in vier Teilworkshops die spezifischen Belange der MAK-Anwendung im Bankwesen, Gesundheitswesen, eGovernment und Verkehrswesen.
Die Ergebnisse dieser Diskussionsrunden wurden von den jeweiligen Moderatoren präsentiert. Ulrike Linde (Bundesverband deutscher Banken e. V.) wies auf das fehlende Geschäftsmodell für die Multiapplikationskarte hin (ungeklärte Kostenverteilung, Kartenverwaltung, Preisfindung usw.) und betonte die Bedeutung eines abgestimmten Identifikationsmanagements: Weil aus Gründen der Kundenbindung und des Produktmarketings auch in Zukunft mit unterschiedlichen Kartenherausgebern zu rechnen sei, müsse die Nutzung der gleichen Infrastruktur für alle Karten gewährleistet sein. Dazu gehöre beispielsweise für den Einsatz der Karte im Internet ein einheitlicher, anwendungsübergreifender Kartenleser. Hier gebe es wichtige Aufgaben für die Standardisierung.
Als gering schätzte dagegen Dr. Stephan Klein ( bremen online services GmbH & Co. KG) den Standardisierungsbedarf aus Sicht des eGovernments ein. Zwingend erforderlich sei aber eine ministeriums- und ebenenübergreifende Strategie hinsichtlich der vorgegebenen Ziele der i2010-Initiative der EU und der Entwicklungen in Europa sowie eine entsprechend koordinierte Vorgehensweise. Die parallele Existenz mehrerer Karten für verschiedene Anwendungen werde eher nicht als Problem betrachtet. Mehrere vertrauenswürdige Karten oder andere Träger der erforderlichen Personendaten müssten aber zu einer eindeutigen Identität führen, und diese Identität sei der Schlüssel zu verschiedenen Anwendungen auf und außerhalb der Karte.
Auch Jürgen Sembritzki (ZTG Zentrum für Telematik im Gesundheitswesen GmbH) sah eher Regulierungsbedarf - z. B. hinsichtlich einer Komfortsignatur - als Standardisierungsbedarf. In ihrer Funktion sei die elektronische Gesundheitskarte bereits eine Multiapplikationskarte, aber eine Verquickung dieser Anwendungen mit ihren frei herauslesbaren Pflichtdaten mit anderen Applikationen sei schwierig zu realisieren und den Bürgern schwer zu vermitteln.
Positiver wertete Karl-Heinz Rosenbrock (ETSI European Telecommunications Standards Institute) die Aussichten der Multiapplikationskarte im künftigen Milliardenmarkt der Verkehrstelematik. Auch sei Normungsbedarf in vielen Teilbereichen vorhanden, aber die größeren Probleme lägen wohl in den uneinheitlichen Abläufen und Prozessen sowie in Unklarheiten bei rechtlichen Aspekten und organisatorischen Zuständigkeiten. Dabei müsse künftig der Karteninhaber über die auf seiner Karte zusammengeführten Applikationen frei verfügen können (hinzufügen und entfernen von Anwendungen) und nicht der Herausgeber der Karte. Normen zu entsprechenden Funktionen von Kartenbetriebssystemen und zur Verwaltung des Lebenszyklus von Anwendungen befinden sich bereits in der Erarbeitung.
Zu dem Workshop eingeladen hatte FOCUS-ICT, ein 2005 gegründeter DIN-Präsidialausschuss, der für die projektbezogene Umsetzung der Deutschen Normungsstrategie im ICT-Bereich zuständig ist. FOCUS-ICT konzentriert sich dabei auf komplexe Projekte mit gremienübergreifendem Charakter und verfolgt das Ziel, die Potenziale von Normung und Standardisierung noch wirkungsvoller für die Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Deutschland einzusetzen.
In seiner Zusammenfassung der aus dem Workshop gewonnenen Erkenntnisse sah der Vorsitzende von FOCUS-ICT, Prof. Dr. Hartwig Steusloff, dieses Ziel für das Thema Multiapplikationskarte im Wesentlichen erreicht. Wertvoll sei die Aussage, dass im Bereich der Kartentechnik die wichtigsten Normen bereits vorlägen oder erarbeitet würden, denn die knappen Ressourcen könnten nun für den neuen Schwerpunkt der Normung eingesetzt werden, nämlich das Anwendungsmanagement. Die Ergebnisse des Workshops würden in einer Sondersitzung des FOCUS-ICT aufgearbeitet und im Internet zur Verfügung gestellt (www.focus-ict.din.de).
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Peter C. Anthony
Kommunikationsmanager
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