openPR Recherche & Suche
Presseinformation

Ein Brückenbauer der Sozialen Marktwirtschaft – Dissertation über vergessenen Sozialwissenschaftler Goetz Briefs

19.09.200513:07 UhrPolitik, Recht & Gesellschaft

(openPR) Bonn - Katholizismus und Liberalismus standen über Jahrhunderte in einem Spannungsfeld, waren oft erbitterte Gegner. Der katholische Sozialwissenschaftler Goetz Briefs (1889-1974) war einer jener Brückenbauer zwischen Katholizismus und Liberalismus, die im zwanzigsten Jahrhundert eine Annäherung ermöglichten. Zugleich zählt Briefs zu den vergessenen geistigen Gründervätern der Sozialen Marktwirtschaft. Neben Walter Eucken, Franz Böhm, Wilhelm Röpke, Alexander Rüstow und Alfred Müller-Armack, die als Inspiratoren oder direkte Berater von Wirtschaftsminister Ludwig Erhard einer interessierten Öffentlichkeit bekannt sind, findet sich sein Name in den Geschichtsbüchern aber nur als Fußnote.



Dabei hatten Briefs Arbeiten zur Betriebssoziologie und zur Gewerkschaftsfrage in (ordo-)liberalen Kreisen vor und nach 1945 durchaus Gewicht. Arnd Klein-Zirbes hat nun an der Bonner Friedrich-Wilhelms-Universität eine Dissertation zu Briefs vorgelegt. Leider streift sie die spannungsreiche Vorgeschichte von Katholizismus und Liberalismus nur, leistet aber den verdienstvollen Beitrag, eine der vergessenen Facetten des Konzepts der Sozialen Marktwirtschaft zu schärfen, die katholisch-konservative nämlich. Die knappe, doch materialreiche und gut lesbare Arbeit bietet einen soliden Überblick über Leben und Werk Briefs. Sie untersucht Briefs’ anfängliche Kritik an Kapitalismus und Marxismus, seine in den Weimarer Jahren entwickelte Betriebssoziologie, seine Ansichten zur Sozialpolitik und zur Gewerkschaftstheorie, sowie schließlich Briefs’ Beitrag zum Konzept der Sozialen Marktwirtschaft.

Goetz Briefs entstammte einer Arbeiterfamilie in Eschweiler bei Aachen. Eine kinderlose Tante ermöglichte ihm das Studium der Nationalökonomie. Nach dem Weltkrieg wurde er 1919 sehr jung Professor in Freiburg, 1926 wechselte er an die Technische Hochschule Berlin. Hier leistete er als Gründer des Instituts für Betriebssoziologie Pionierarbeit. Briefs, der zur Weimarer Zeit der Zentrumspartei nahestand, beobachtete die Machtübernahme der Nationalsozialisten mit wachsender Sorge. 1934, nach der Niederschlagung des so genannten Röhm-Putschs, als die Nationalsozialisten auch mit Mitgliedern der letzten Präsidialkabinette wie Schleicher und anderen Bekannten Briefs’ abrechneten, entschloss sich die Familie zur Emigration. In Amerika gelang es dem deutschen Gelehrten relativ schnell, an der Catholic University of America, ab 1937 an der Georgetown University in Washington Fuß zu fassen, wenn auch die Familie finanziell eher kärglich lebte.

Nach Ende des Kriegs blieb Briefs in den Vereinigten Staaten. Er verfolgte aber Deutschlands Wiederaufbau im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft und die politische Entwicklung mit Interesse und suchte sie publizistisch zu beeinflussen. Sowohl Kanzler Adenauer, den er bereits in den zwanziger Jahren als damaligen Kölner Oberbürgermeister in offizieller Mission kennenlernte, als auch Wirtschaftsminister Erhard beriet Briefs und half ihnen mit Schriften. Diese machten ihn in den fünfziger Jahren als profilierten Kritiker marxistisch unterwanderter Gewerkschaften bekannt. Weiter stand Briefs dem Bund Katholischer Unternehmer als Redner zur Verfügung und wirkte im Vorstand der von Rüstow geleiteten Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft (ASM) mit, einem schlagkräftigen ordoliberalen „Think Tank“, der Erhards Vision von „Wohlstand für Alle“ wissenschaftlich unterfütterte.

Klein-Zirbes erwähnt nicht die Mitgliedschaft Goetz Briefs’ in der Mont Pèlerin Society (MPS), der von Friedrich August von Hayek initiierten, weltweit wohl bedeutendsten Vereinigung (neo-)liberaler Wissenschaftler. Diese Verbindung des katholischen Konservativen zum Zentrum der intellektuellen Konterarmee, die langfristig eine Wende zur mehr Markt und weniger Staat einleitete, verdeutlicht zum einen die weltanschauliche Spannbreite des frühen Neoliberalismus, der sich ursprünglich durch Abgrenzung vom Laissez-Faire zu profilieren suchte. Zum anderen ist Briefs’ Mitgliedschaft in der MPS auch Zeugnis seiner eigenen ideologischen Wandlung vom Kapitalismuskritiker und Anwalt der Gewerkschaften zu einem Feind jeglichen Kollektivismus und überzeugten Verfechter einer sozialen Marktwirtschaft.

In seinem frühem Hauptwerk „Das gewerbliche Proletariat“ von 1926 zeigte Briefs noch deutliche Nähe zu einem christlich motivierten Sozialismus. Er sprach den Gewerkschaften ein historisches Verdienst bei der organisatorischen Unterstützung der Arbeiterschaft zu. Den Schlüssel für die Überwindung der gesellschaftlichen Spannungen im Kapitalismus sah Briefs aber schon damals nicht in der Abschaffung des Privateigentums. Den Marxismus lehnte Briefs als gefährlichen pseudoreligiösen Irrglauben ab. Briefs’ Ziel war dagegen die „Befriedung“ der Arbeitswelt durch betriebliche Sozialmaßnahmen als Ergänzung zu staatlicher Sozialpolitik. Darüber hinaus forderte er eine geistig-moralische Wende: die Wiederverwurzelung der proletarisierten Massen in Eigentum und subsidiären Gemeinschaften, schließlich Hilfen für ihren Aufstieg in den Mittelstand.

Die Gewerkschaften, deren anfängliche „Bewegungsphase“ er 1926 so positiv darstellte, unterzog Briefs 1952 in seinem Buch „Zwischen Kapitalismus und Syndikalismus. Die Gewerkschaften am Scheideweg“ einer scharfen Kritik. Er erkannte eine Entwicklung zu „befestigten Gewerkschaften“ (established labor unions), also schädlichen Arbeitsmarktkartellen, die die ganze Volkswirtschaft durchdringen und lähmen. Auf Kosten der Lohnflexibilität und des Wirtschaftswachstums für alle betrieben jene einseitige Interessenpolitik, kritisierte Briefs. Überhaupt erscheint ihm die Daseinsberechtigung klassenkämpferischer Gewerkschaften in der Nachkriegszeit zunehmend zweifelhaft. Unverantwortliche Lohnabschlüsse, schreibt Briefs in den siebziger Jahren zur Zeit der ersten Öl-Krise, störten das Marktgleichgewicht, könnten die Preisstabilität gefährden und Unternehmen zu Standortverlagerungen zwingen.

Klein-Zirbes erklärt die Wandlung Briefs’ vom Gewerkschaftsfreund zum Gewerkschaftskritiker einerseits mit dem biographischen Bruch der Emigration in die Vereinigten Staaten, wo Briefs Bekanntschaft mit Joseph Schumpeter und dessen Lehre vom dynamischen Unternehmer machte. Andererseits, und dieser Faktor trägt langfristiger, spiegelt sich in Briefs Weg auch den langfristigen Wandel der katholischen Soziallehre hin zu liberaleren Positionen. Gerade diesen Punkt handelt Klein-Zirbes aber zu oberflächlich ab. Goetz Briefs’ Bemühungen, einen Ausgleich zwischen christlichem Sozialdenken und (ordo-)liberaler Wirtschaftslehre zu schaffen, gehören zu jenen Wurzeln der Sozialen Marktwirtschaft, die in Zeiten fortschreitender Säkularisierung und Globalisierung mehr Beachtung verdienten.

Arnd Klein-Zirbes: Der Beitrag von Goetz Briefs zur Grundlegung der Sozialen Marktwirtschaft. Frankfurt am Main: Peter Lang 2004, 159 Seiten, 34 Euro.

Diese Pressemeldung wurde auf openPR veröffentlicht.

Verantwortlich für diese Pressemeldung:

News-ID: 61118
 113

Kostenlose Online PR für alle

Jetzt Ihren Pressetext mit einem Klick auf openPR veröffentlichen

Jetzt gratis starten

Pressebericht „Ein Brückenbauer der Sozialen Marktwirtschaft – Dissertation über vergessenen Sozialwissenschaftler Goetz Briefs“ bearbeiten oder mit dem "Super-PR-Sparpaket" stark hervorheben, zielgerichtet an Journalisten & Top50 Online-Portale verbreiten:

PM löschen PM ändern
Disclaimer: Für den obigen Pressetext inkl. etwaiger Bilder/ Videos ist ausschließlich der im Text angegebene Kontakt verantwortlich. Der Webseitenanbieter distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten Dritter und macht sich diese nicht zu eigen. Wenn Sie die obigen Informationen redaktionell nutzen möchten, so wenden Sie sich bitte an den obigen Pressekontakt. Bei einer Veröffentlichung bitten wir um ein Belegexemplar oder Quellenennung der URL.

Pressemitteilungen KOSTENLOS veröffentlichen und verbreiten mit openPR

Stellen Sie Ihre Medienmitteilung jetzt hier ein!

Jetzt gratis starten

Weitere Mitteilungen von medienbüro.sohn

Sascha Lobo und die halbautomatische Netzkommunikation
Sascha Lobo und die halbautomatische Netzkommunikation
Facebook-Browser könnte soziale Netzwerke umpflügen Berlin/München, 27. Februar 2009 - Millionen Deutsche sind mittlerweile in sozialen Netzwerken wie XING, Wer-kennt-wen, Facebook oder StudiVZ organisiert, haben ein Profil und präsentieren sich auf irgendeine Art im Web, ob mit Bildern, kurzen Texten, Blog-Beiträgen oder Links, die sie interessant finden. „Es lässt sich kaum leugnen: Wir sind zum Glück nicht mehr Papst, wir sind jetzt Netz. Die Menschen haben begonnen, wichtige Teile ihres gesellschaftlichen Treibens ins Internet zu verlag…
Finanzbehörden müssen mit Mittelstand innovativer umgehen
Finanzbehörden müssen mit Mittelstand innovativer umgehen
Schnelle Verfahren zur Stundung von Steuern und Anpassung von Vorauszahlungen Berlin, 26. Februar 2009 – Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) bvmw.de fordert die Finanzbehörden und Sozialversicherungen zu einem flexiblen und innovativen Umgang mit kleinen und mittleren Unternehmen auf, die unverschuldet in Not geraten sind und bei denen unerwartete Liquiditätsengpässe auftreten. Eine Möglichkeit bestünde in einfachen und schnellen Verfahren, um Steuern und Sozialabgaben vorübergehend zu stunden oder Vorauszahlungen anzupassen…

Das könnte Sie auch interessieren:

Bild: MUT ZUR ORDNUNG: JULIA JÄKEL ERHÄLT DEN LUDWIG-ERHARD-PREIS FÜR WIRTSCHAFTSPUBLIZISTIK 2025Bild: MUT ZUR ORDNUNG: JULIA JÄKEL ERHÄLT DEN LUDWIG-ERHARD-PREIS FÜR WIRTSCHAFTSPUBLIZISTIK 2025
MUT ZUR ORDNUNG: JULIA JÄKEL ERHÄLT DEN LUDWIG-ERHARD-PREIS FÜR WIRTSCHAFTSPUBLIZISTIK 2025
Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch: „Unsere Preisträger stehen für Haltung, Klarheit und Mut zur Freiheit. Sie zeigen: Die Soziale Marktwirtschaft nach Erhard ist kein Konzept von gestern, sondern das Fundament für morgen – wenn wir sie mit Überzeugung leben und verteidigen.“Bonn, 23. Mai 2025: Wie reformfähig ist unser Staat? Was leisten Medien für die …
Andreas Pinkwart zu Gast bei den Jungen Liberalen NRW - Ein Plädoyer für die soziale Marktwirtschaft
Andreas Pinkwart zu Gast bei den Jungen Liberalen NRW - Ein Plädoyer für die soziale Marktwirtschaft
… Aufmerksamkeit. Daraufhin griff der Bundestagsabgeordnete die Inhalte der Antragsberatung der JuLis auf und hielt ein flammendes Plädoyer für die Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft: "Die Herausforderung der Liberalen zur Stärkung der Freiheit ist die Förderung der sozialen Verantwortung und der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. Sozial ist, …
Bild: Mut zum Markt auch heute die beste LösungBild: Mut zum Markt auch heute die beste Lösung
Mut zum Markt auch heute die beste Lösung
Roland Koch erinnert an den Beginn der Sozialen Marktwirtschaft vor 75 Jahren„Wir haben uns kontinuierlich von der schlanken Sozialen Marktwirtschaft mit sparsamer Regulierung in die Richtung des fetten Wohlfahrtsstaats bewegt und das schadet dem Wohlstand“, kommentiert der Vorsitzende der Ludwig-Erhard-Stiftung, Roland Koch, das 75. Jubiläum der Einführung …
Wirtschaftsrat fordert Rückkehr zu mehr Eigenverantwortung - Unternehmertum Kern der Sozialen Marktwirtschaft
Wirtschaftsrat fordert Rückkehr zu mehr Eigenverantwortung - Unternehmertum Kern der Sozialen Marktwirtschaft
Ulm. Über „die Unternehmerische Verantwortung in der Sozialen Marktwirtschaft“ wurde im Rahmen einer Podiumsdiskussion der Sektion Ulm/Ehingen/Biberach des Wirtschaftsrats der CDU am letzten Freitag diskutiert. Der Gastgeber der Veranstaltung, Martin Bertinchamp, Chef von Gardena und Vorstandsmitglied der Konzernmutter Husqvarna, machte in seiner Einleitung …
Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik geht an Markus Brunnermeier
Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik geht an Markus Brunnermeier
… verliehen. Ausgezeichnet werden Presseartikel, Online-, Hörfunk- und Fernsehbeiträge sowie Arbeiten der wissenschaftlichen Publizistik, die zum Erhalt und zur Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft beitragen. Die Jury entschied sich außerdem, drei Förderpreise, dotiert mit jeweils 5.000 Euro, zu vergeben. Die Förderpreise gehen an den Rechtsreferendar …
Bild: Etwas ist faul im Staate D... - AUGUST VON GOETHE LITERATURVERLAG präsentiert instruktives WirtschaftsfachbuchBild: Etwas ist faul im Staate D... - AUGUST VON GOETHE LITERATURVERLAG präsentiert instruktives Wirtschaftsfachbuch
Etwas ist faul im Staate D... - AUGUST VON GOETHE LITERATURVERLAG präsentiert instruktives Wirtschaftsfachbuch
Die soziale Marktwirtschaft scheint in raschen Schritten dem Schicksal entgegenzueilen, das die meisten Helden Shakespeares ereilt – dem tragischen Untergang. Daß sich Deutschland in einer wirtschaftlichen Krise befindet, ist seit Jahren ein Zustand, an dessen Veränderung trotz Reformen und ökonomischem Umdenken keiner mehr so recht glauben mag. Gegen …
Bild: Die Eurozone und die Macht der GummibärchenBild: Die Eurozone und die Macht der Gummibärchen
Die Eurozone und die Macht der Gummibärchen
… den dadurch bewirkten Steuereinnahmen die Maßnahmen für Bildung, Gesundheit, soziale Sicherheit, usw. bezahlen zu können? - Wäre es nicht besser, das System der Sozialen Marktwirtschaft arbeitsteilig zu gestalten, indem für die Finanzierung der sozialen und gemeinnützigen Aufgaben unseres Gemeinwesens ein vom Markt getrenntes Verfahren zur „sozialen …
KAS startet Seminarreihe zur Sozialen Marktwirtschaft – Die Lehren Ludwig Erhards können auch die heutige Wirtschaftspolitik inspirieren
KAS startet Seminarreihe zur Sozialen Marktwirtschaft – Die Lehren Ludwig Erhards können auch die heutige Wirtschaftspolitik inspirieren
… "Wirtschaftswunder" der 50er und 60er Jahre stand ein innovatives Konzept der Wirtschaftspolitik, das die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) http://www.kas.de in einer Seminarreihe zur Sozialen Marktwirtschaft würdigt. Neu an der Sozialen Marktwirtschaft war, dass sie die Lehren aus zwei historischen Erfahrungen zog. Die erste Erfahrung war das Scheitern …
„Je freier die Wirtschaft, desto sozialer ist sie auch“
„Je freier die Wirtschaft, desto sozialer ist sie auch“
… einer sehr gut besuchten gemeinsamen Veranstaltung erinnerten die Industrie- und Handelskammer Frankfurt/Main und der Liberale Mittelstand Hessen (LMH) an die Ursprünge der Sozialen Marktwirtschaft und stellten den aktuellen Stand der Marktwirtschaft zur Diskussion. In den Räumen der IHK waren 1948 vom damaligen Direktor für Wirtschaft der bizonalen …
Wer reformiert die soziale Marktwirtschaft?
Wer reformiert die soziale Marktwirtschaft?
Die Reform der Sozialen Marktwirtschaft ist eine komplexe Daueraufgabe mit hohem politischem Stellenwert. Welche Rolle können in diesem Zusammenhang Großunternehmen spielen? Wie sieht der Beitrag des Mittelstandes aus? Wie sieht das unternehmerische Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft aus? Welche Impulse muss die Politik geben? Bei einer Podiumsdiskussion, …
Sie lesen gerade: Ein Brückenbauer der Sozialen Marktwirtschaft – Dissertation über vergessenen Sozialwissenschaftler Goetz Briefs