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Prof. Dr. G. Langguth: “Kleinparteien werden medial nicht benachteiligt”

13.04.201109:07 UhrPolitik, Recht & Gesellschaft

(openPR) Andere-Parteien.de-Interview: Ein häufiger Vorwurf von Kleinparteien ist, dass sie in den Medien benachteiligt werden. Der bekannte Prof. Dr. Gerd Langguth (Staatssekretär a. D. Institut für politische Wissenschaft und Soziologie – Universität Bonn) bestreitet im Interview diese Benachteiligung. Auch spricht er über die Demokratiewirkung der „Sonstigen“ sowie wagt einen Ausblick in die Zukunft der „Anderen Parteien”.



Andere-Parteien.de: Herr Prof. Dr. Lannguth, welchen demokratietheoretischen Beitrag leisten Kleinparteien?

Prof. Dr. Gerd Langguth: Die kleineren Parteien leisten demokratietheoretisch also somit auch einen wichtigen Beitrag, dass sie in die politische Ordnung der Bundesrepublik Deutschland hinein integrieren. Der Nachteil ist, dass einige kleinere Parteien (Rentnerparteien, Piratenpartei, Tierschutzpartei, Autofahrerpartei) nur egoistische Einzelinteressen vertreten und sie nicht an allen Aspekten des Gemeinwohls interessiert sind.

Andere-Parteien.de: Sie hatten bei spiegel-online einmal die These aufgestellt, dass die „Sonstigen“ einen Einfluss auf mögliche Regierungsmehrheiten haben. Könnten Sie das bitte etwas näher erleuchten?

Langguth: Durch die Tatsache, dass die sogenannten „Sonstigen“ die Fünf-Prozent-Hürde nicht übersteigen, entsteht doch eine ganze Anzahl von sogenannten Reststimmen. Diese werden bei den Wahlen entsprechend heraus gerechnet, so dass schon Regierungskoalitionen deutlich unter 50 Prozent möglich sind. Die kleinen Parteien spielten bei den letzten Landtagswahlen keine Rolle hinsichtlich der Bildung der Regierungsmehrheit. Bei Baden-Württemberg kommt noch das Wahlrecht hinzu, das folgende Sitzverteilung ermöglichte: Von 138 Sitzen insgesamt erhielten die Grünen 36 Sitze und die SPD 35, also zusammen 71 Sitze. 138 Sitze gibt es insgesamt. Nimmt man die Landtagswahl in Thüringen 2004, so kann man dort feststellen, dass auf die CDU 45 Sitze entfielen, auf die PDS 28 und die SPD 15 (Sitze insgesamt 88; obwohl die CDU lediglich 43 Prozent der Landesstimmen auf sich vereinigte, konnte sie 45 Sitze im Landtag erzielen, was bei 88 Sitzen insgesamt immerhin genau die absolute Mehrheit bedeutete.

Nimmt man die Landtagswahl von Baden-Württemberg, wird man gleichwohl feststellen können, dass die vier größeren Parteien (CDU, SPD, Grüne und FDP) insgesamt 91,6 Prozent erhalten haben, die fünfzehn „sonstigen“ Parteien hingegen 8,3 Prozent. Obwohl SPD (23,2) und Grüne (24,2) lediglich 47,3 Prozent der Stimmen auf sich vereinigten, konnten Sie damit eine Mehrheitsbildung herbeiführen, auch gegen die fast sechzig Jahre regierende CDU, die lediglich 39,0 Prozent erhielt (-5,2 Prozent). Man muss einfach sehen, dass die Kleinstparteien aus der Rechnung herausfallen, weil sie die Fünf-Prozent-Hürde nicht überschreiten. Von den sonstigen Parteien haben lediglich die Linke nennenswerte Anteile errungen (2,8 Prozent), die Piratenpartei 2,1 Prozent und die NPD 1,0 Prozent, ferner die Republikaner 1,1 Prozent. Ich bleibe bei meiner These, dass kleine Parteien, weil sie rechnerisch herausfallen, Regierungsmehrheiten unter 50 Prozent ermöglichen.

Andere-Parteien.de: Ist Deutschland offen/bereit, verträgt der Parlamentarismus langfristig ein Sechs bis Sieben- Parteiensystem?

Langguth: Wer einen Blick wirft in solche Parlamente, die sich durch eine Vielzahl von Parteien gekennzeichnet sind, wird eher davon abgeschreckt sein, wenn es sechs oder gar sieben Fraktionen gibt. Das beginnt schon mit den Schwierigkeiten bei der Regierungsbildung, weil kleinere Parteien gemessen am Stimmenanteil einem Übermaß an Einfluss erzielen können. Je mehr Fraktionen es gibt, desto schwieriger ist die Regierungsbildung und das Herbeiführen von wichtigen politischen Entscheidungen. Irgendwann wird der Wähler/die Wählerin das merken. Wir werden eines Tages auch wieder eine Konzentration von weniger Parteien haben, eine Folge des größeren Parteienstreits infolge von mehr Fraktionen.

Andere-Parteien.de: Vor allem auf Landesebene gibt es immer mehr Phänomene von erfolgreichen Kleinparteien. Wie ist das zu erklären?

Langguth: Eigentlich wäre Baden-Württemberg das idealtypische Land für eine Landespartei von Freien Wählern gewesen. Zum einen gibt es dort die Freien Wähler traditionell schon auf lokaler Basis sehr stark, sie sind auch auf Landesebene organisiert. Dort war intern immer schon ein Disput, ob man sich gegebenenfalls auch bei Landtagswahlen beteiligen solle. Phänomene wie die Freien Wähler auf Landesebene sind aber auch künftig möglich. Nur haben die Erfahrungen in Bayern gezeigt, dass sich die Freien Wähler mit einer Profilierung sehr schwer tun, zumal sie in Bayern eine gewisse inhaltliche Nähe zur CSU aufweisen. Der Aufbau von Kleinstparteien ist in Stadtstaaten einfacher als in Flächenstaaten.

Andere-Parteien.de: Die meisten der Sonstigen sind klassische Ein-Themen-Parteien. Kann man damit Erfolg erzielen?

Langguth: Ein-Themen-Parteien können auf Dauer nicht glaubwürdig sein. Ich sehe daher ihre Chancen für gering, auf Dauer zu reüssieren.

Andere-Parteien.de: Es gibt zur Zeit ca. 75 Kleinparteien. Sind Listenverbindungen oder Fusionen ein Ausweg auf „mehr“ Erfolg?

Langguth: Fusionen haben in der Regel nichts gebracht, auch keine höhere Schlagkraft. Eine Fusion gibt es beispielsweise zwischen der DVU und der NPD. Die NPD hat jedoch in Baden-Württemberg lediglich 1,0 Prozent erhalten, von einer höheren Schlagkraft ist kaum davon auszugehen. Die NPD erhielt jedoch 0.7 Prozent 2006. Es ist schwer auszumachen, ob die leichte Erhöhung auf 1,0 Prozent eine Folge der Fusion ist. Ansonsten sind die verschiedenen Kleinstparteien inhaltlich sehr weit auseinander. Es scheint sich Wahlerfolg der Piratenpartei bei 2,0 Prozent und etwas darüber einzupendeln. Mit wem beispielsweise sollte die Piratenpartei sich fusionieren? Es ist ja das Problem der Ein-Themen-Parteien, dass sie sich schwer mit einer thematischen Erweiterung tun.

Andere-Parteien.de: Ist an den politischen Rändern noch Platz für eine weitere Partei?

Langguth: Wenn man vom klassischen Links-Rechts-Schema ausgeht, ist „links“ schon mit der Linkspartei sehr gut besetzt. Auf der Seite rechts von der CDU gibt es im Wesentlichen lediglich die NPD, vielleicht noch die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP). Es fällt auf, dass von den „politischen“ Kleinstparteien sehr viele der „linken“ politischen Seite zuzurechnen sind. Wenn man einmal die letzte baden-württembergische Landtagswahl als Beispiel nimmt, beteiligten sich unter anderem folgende Kleinstparteien: „Volksabstimmung“ (Ab jetzt…, Bündnis für Deutschland, Demokratie durch Volksabstimmung), „AUF-Partei“ (AUF-Partei für Arbeit, Umwelt und Familie, Christen für Deutschland), DKP (Deutsche Kommunistische Partei), „Die Partei“ (Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative) sowie RSB (Revolutinär Sozialistischer Bund/Vierte Internationale). In das klassische links-rechts-Schmema einzuordnen sind hingegen sehr schwer: „Die Violetten“ (Die Violetten – für spirituelle Politik), „FAMILIE“ (Familien-Partei Deutschlands), „PIRATEN“ (Piratenpartei Deutschlands).

Andere-Parteien.de: Kleinparteien bemängeln häufig, dass Sie innerhalb der Medien benachteiligt werden. Trifft dieser Vorwurf zu?

Langguth: Diese Kritik tritt nicht zu. Die Kleinparteien haben vielfältige Möglichkeiten der kostenlosen Selbstdarstellung, etwa in den Medien, indem sie ihre Werbespots unterbringen können. Über die Piratenpartei wurde vielfältig berichtet, auch über ihre Chancen. Vielfach sind die Kleinparteien auch nicht in der Lage, ihre Ziele darzustellen. Die pauschale Kritik, sie würden bei der Medienberichterstattung nicht berücksichtigt, trifft jedenfalls so nicht zu. Sonstige Parteien werden bei den Wahlabenden nie aufgelistet, usw. Diese Kritik teile ich. Ich finde ja gerade besonders interessant, was sich hinter den „sonstigen“ Parteien versteckt.

Andere-Parteien.de: Fast 60 Jahre gibt es nun schon die Fünf-Prozent-Hürde. Ein Erfolgsmodell?

Langguth: Die Fünf-Prozent-Hürde hat sich bewährt. Ein Blick auf die Niederlande zeigt, wie fatal es ist, wenn eine Partei in das Parlament einziehen kann, wenn weit weniger als 1 Prozent für den Einzug einer Partei reichen. Die Folge wäre eine sehr große politische Zersplitterung. Es gibt ja nun vielfältige Hilfen für kleinere Parteien (Werbespots im Fernsehen, Parteienfinanzierung), die den Nachteil der Fünf-Prozent-Hürde ausgleichen. Stabilität ist auch ein politischer Wert, den man nicht zu gering schätzen sollte.

Andere-Parteien.de: In Wahlumfragen werden die „Sonstigen“ oftmals weggelassen. Hat dies eine Auswirkung auf die potentielle Wahlentscheidung des Wählers?

Langguth: Die Kritik, die in dieser Frage steckt, teile ich. Andererseits muss man sehen, dass Wähler sich auch bei den hergebrachten Parteien schwer tun, konkrete politische Entscheidungsgründe zu nennen, warum sie diese wählen. Wenn etwa BüSo („Die Bürgerrechtsbewegung Solidarität“) sich nicht genauer kenntlich machen kann, was sie eigentlich will, oder die Partei „Die Violetten“, dann ist das ein Problem, das diese Parteien selber angeht. Auf der anderen Seite gibt es eine Partei Bibeltreuer Christen, die in Baden-Württemberg immerhin 0,1 Prozent der Stimmen erhalten hat. Diese Partei tritt fast bei allen Landtagswahlen auf und nimmt dem rechten Rand der Union Stimmen weg; diese Partei scheint über gewisse Finanzmittel zu verfügen. Der Titel dieser Partei zeigt doch ziemlich präzise auf, welche Zielsetzung sie vertritt – und dennoch erhält sie nicht mehr Prozente.

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