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Neue KMK-Empfehlung – Diskriminierung von Legasthenikern und Dyskalkulikern

20.12.200712:16 UhrVereine & Verbände

(openPR) Im Dezember wurde die neue KMK-Empfehlung „Grundsätze zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben oder im Rechnen“ veröffentlicht. Die Empfehlung aus dem Jahr 2003 wurde aufgrund des Gutachtens von Frau Prof. Langenfeld, Institut für öffentliches Recht der Universität Göttingen, überarbeitet, da in dem Gutachten aufgezeigt wurde, dass die bestehenden schulrechtlichen Regelungen für Legastheniker verfassungswidrig sind.



Die Neufassung hat katastrophale Folgen für Schülerinnen und Schüler, die von einer Legasthenie (Lese-/Rechtschreibstörung) oder von einer Dyskalkulie (Rechenstörung) betroffen sind, da sie massiv in ihren Rechten, abgeleitet aus dem Grundgesetz, beschnitten werden. Wird dieser Empfehlung auf Länderebene gefolgt, bedeutet das für gut begabte Schüler, dass ihnen der Zugang zum Abitur verwehrt wird. „Es ist für mich nicht verständlich, dass man die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Legasthenie und Dyskalkulie ignoriert und den Schutz der betroffenen Kinder und ihrer Familie nicht vorrangig berücksichtigt. Die gestörten Hirnfunktionen der Kinder mit einer Legasthenie oder Dyskalkulie hindern sie daran, eine Lese-, Rechtschreib- oder Rechenleistung zu erbringen, die ihrer allgemeinen Begabung entspricht. Trotzdem sind diese Kinder fachlich in der Lage, einen begabungsgerechten Schulabschluss zu erreichen, wenn ihre Entwicklungsstörung angemessen schulisch berücksichtigt wird“, so Prof. Schulte-Körne, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Universität München. „Die unzureichenden schulrechtlichen Regelungen und die mangelnde Umsetzung der vorhandenen Regelungen führen nach wie vor dazu, dass viele Kinder und Jugendliche mit einer Legasthenie oder Dyskalkulie psychische Störungen entwickeln und die gesamte psychosoziale Entwicklung stark beeinträchtigt ist“, kritisiert Schulte-Körne.

Der Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e.V. (BVL) sieht in der neuen KMK-Empfehlung keinen entscheidenden Fortschritt für die betroffenen Kinder im Vergleich zur bisherigen KMK-Empfehlung aus dem Jahr 2003. Durch die Festschreibung, dass die Maßnahmen zur Differenzierung mit der 10. Klasse enden sollen, wird den betroffenen Kindern bewusst der Zugang zur Sekundarstufe II verwehrt. Obwohl die betroffenen Kinder oftmals über eine sehr gute Begabung verfügen, können sie ohne Nachteilsausgleich und Notenschutz für Rechtschreibleistungen das Abitur nicht erreichen. Der Grundsatz der Gleichbehandlung wird hier zu ungunsten der betroffenen Kinder ausgelegt, denn die Ursache der Legasthenie oder Dyskalkulie liegt nicht in einer mangelnden Begabung noch wird sie durch Faulheit der betroffenen Kinder verursacht, sondern hat eine neurobiologische Ursache. Insbesondere bei Prüfungen oder Abschlüssen soll nach den neuen KMK-Grundsätzen auf die Maßnahmen zur Differenzierung verzichtet werden. Der BVL macht in diesem Zusammenhang deutlich, dass gerade bei Prüfungen und Abschlüssen Nachteilsausgleich und Schutzmaßnahmen gewährt werden müssen, um die Behinderung der Kinder auszugleichen. Die Sorge, dass dadurch das Niveau der Abschlüsse sinken könnte, wie von der KMK befürchtet, entbehrt jeder Logik, denn die betroffenen Schülerinnen und Schüler erhalten die gleichen Prüfungsfragen wie alle anderen auch. Ein weiterer kritischer Punkt der Empfehlung ist, dass die Diagnose in den Aufgabenbereich der Schule gehören soll. Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGJKP) ist irritiert, dass die Diagnostik in die Hände von Lehrern gelegt werden soll, da die Diagnostik nur in Zusammenarbeit mit Medizinern möglich ist. „Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) hat die Legasthenie und Dyskalkulie aufgrund der wissenschaftlichen Belege als Krankheit anerkannt, deshalb sind die Störungsbilder weltweit als solche klassifiziert und werden in der Definition der WHO als neurobiologisch begründet angesehen. Somit stellt sich die Frage, welche anderen wissenschaftlichen Erkenntnisse liegen der KMK vor, dass weder das Störungsbild der Legasthenie noch der Dyskalkulie anerkannt werden“, bemängelt Prof. Andreas Warnke, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Universität Würzburg.

„Täglich hören und lesen wir von Politikern, dass jedes Kind in Deutschland mitgenommen wird und eine Chancengleichheit in unserem Bildungssystem erhalten soll, denn kein Kind darf verloren gehen. Es ist unfassbar, warum die KMK diese vollkommen unzureichende Empfehlung verabschiedet hat. Da werden von der Politik Programme initiiert, wie Eltern motiviert werden, mehr Kinder in die Welt zu setzen, aber keiner fühlt sich verantwortlich, sich um die Kinder zu kümmern, die bereits in unserem Schulsystem stecken. Gut begabte Kinder werden in unserem Bildungssystem bewusst zurück gelassen und stattdessen diskutiert man Programme, wie man den Fachkräftemangel überwinden kann. Wir fordern die Bildungspolitik ganz massiv dazu auf, sich für die Belange der von einer Legasthenie oder Dyskalkulie betroffenen Kinder einzusetzen und ihnen eine Chancengleichheit in unserem Bildungssystem zu gewähren“, fordert Christine Sczygiel, Bundesvorsitzende des BVL.

Der BVL vertritt die Interessen von über 7000 Mitgliedern und rät allen betroffenen Eltern, den Klageweg zu beschreiten, um die Rechte ihrer Kinder vor Gericht einzufordern.

Weitere Informationen zum Thema Legasthenie und zum Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e.V. sind im Internet abrufbar unter www.bvl-legasthenie.de.

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