(openPR) 28.06.2006 Offener Brief an die Fraktionen im Rat der Stadt München
An die Stadträte der Landeshauptstadt München (s.u.)
Massiver Ausbau von Kindertagesstätten JA - massive Gebührenerhöhungen NEIN!
Familien sind die zentralen Leistungsträger unserer Stadt, durch sie bleibt München lebendig und vital. Bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sieht es in München jedoch schlecht aus.
Auch wenn der gesetzliche Anspruch auf einen Kindergartenplatz rein statistisch gut gedeckt ist, besteht Mangel. Völlig unzureichend ist leider immer noch das Angebot an Tagesbetreuung für Kinder unter 3 Jahren und für Kinder über 6 Jahren. Es wird zwar viel getan, doch die Anstrengungen reichen bei weitem nicht, den Bedarf auch nur annähernd zu decken – wie auch die langen Wartelisten in den städtischen Einrichtungen zeigen.
Die Öffnungszeiten von Einrichtungen entsprechen immer weniger den Alltagsrealitäten von berufstätigen Eltern. Randzeiten, Sondersituationen, Schulferien uvm. werden nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt und es fehlt auch an Betreuungsangeboten, die flexibler auf die Arbeitszeitmodelle für in Teilzeit tätige Mütter eingehen, z.B. drei volle Tage statt 5 halber Tage.
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist in München für nicht wenige Mütter und Väter nur schwer zu realisieren, insbesondere wenn ein früher Wiedereinstieg in den Beruf nach der Geburt eines Kindes erforderlich ist oder das Kind in die Schule eintritt und die Betreuung am Nachmittag nicht gesichert ist. An die Schaffung entsprechender Betreuungsplätze sind familiäre Existenzen gebunden!
Gerade in einer Stadt mit hohen Lebenshaltungskosten wie München ist die Berufstätigkeit beider Elternteile erforderlich, um eine Familie unterhalten zu können. Für besonders gut ausgebildete Frauen und Mütter ist es von Nöten, möglichst bald wieder in den Beruf zurückzukehren, um das erworbene Qualifikationsniveau und damit die berufliche Existenzgrundlage erhalten zu können. Dies geht nur, wenn ausreichend Betreuungsplätze bereits von Anfang an und über das Vorschulalter hinaus gesichert sind. Verhinderung von Berufstätigkeit kann hier leicht ein Armutsrisiko entfachen und den Verlust der Arbeitsmarktsfähigkeit gerade von Frauen nach sich ziehen bzw. zum Abwandern von Familien führen. An anderer Stelle beklagen sich gerade die Kommunen über hohe Aufwendungen für HartzIV-Maßnahmen.
Zudem hat München gerade in den letzten Jahren viel Geld für Infrastrukturmaßnahmen für den Anschluss des neuen Fussball-Stadions(rd. 328 €/m) ausgegeben, die im Wesentlichen den überwiegend Fußball begeisterten Männern zu Gute kommen. Gerade mal ein bisschen mehr als ein Drittel (rd. 115 €/m) dieser Ausgaben steht für die Schaffung neuer Krippenplätze bis 2010 zur Verfügung.
Wir – der Verband berufstätiger Mütter e.V. – sind der Auffassung, dass die beabsichtigten Satzungsänderungen für Kindertagesstätten in städtischer Trägerschaft nicht auf dem Rücken der Frauen und Kinder ausgetragen werden dürfen. Der schnelle und bedarfsgerechte Ausbau der Betreuungs- und Bildungsqualität ist von zentraler Bedeutung für München. München versteht sich als Kinder- und Familienstadt, nicht zuletzt haben dies die Veranstaltungen zu den Leitlinien der Familienpolitik gezeigt.
Doch nun kommt es zu massiven Erhöhungen der Kinderbetreuungsbeiträge in München und zu erheblichen Irritationen und Protesten bei den Familien, denen wir hier als Verband berufstätiger Mütter e.V. vbm Gehör verschaffen wollen. Wir erwarten eine deutliche Kehrtwende in der beabsichtigten Satzungsänderung zu den Gebühren für Kindertagesstätten der Stadt München:
• Kindertagesstätten über Gebühren zu finanzieren, ist nicht grundsätzlich zu beanstanden. Es muss jedoch eine sozial verträgliche Belastung erfolgen. Einen hohen Anteil des durch Berufstätigkeit erzielten Einkommens wieder über Gebühren abzuschöpfen ist der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht förderlich und wirkt in Teilen diskriminierend. Die nunmehr beabsichtigte Finanzierungsstruktur ist nicht nur unsozial, sondern ökonomisch falsch. Erst recht können wir eine Umverteilung der Beiträge unter den Familien nicht tolerieren.
• Eine Orientierung am Bruttoeinkommen suggeriert schon in den Einkommensgruppen eines Facharbeiterverdienstes beider Elternteile eine Einordnung in die Kategorie 'Besserverdiener'-Familie. Dabei werden die Aufwendungen, die in einer Familie anfallen (insbesondere erhöhte Mietkosten), genauso wenig berücksichtigt wie die Tatsache, dass bei bestimmten Einkommensgruppen Pflichtabgaben in nicht unerheblicher Höhe in die Sozialversicherungssysteme zu leisten sind bzw. bei anderen Einkommensgruppen (Freiberufler und Gewerbetreibende) von dem erzielten Einkommen ein nicht unerheblicher Teil für Beiträge zur Altersvorsorge und Krankenversicherung bei Seite gelegt werden müssen, während bei anderen Berufsgruppen etwaige Pensionsansprüche – mangels Erfassung im Bruttoeinkommen - unberücksichtigt bleiben. Diese Konstellation würde dazu führen, dass Angestellte und Selbstständige im Vergleich zur Berufsgruppe der Beamten überproportional deutlich schlechter gestellt werden, da das Bruttoeinkommen der Beamten lediglich dem Steuerabzug unterliegt und für deren Altersvorsorge bereits anderweitig Rechnung getragen wird.
• Zudem wurde gerade im Zusammenhang mit der Einführung des Alterseinkünftegesetzes gefordert, dass in Deutschland auch privat und eigeninitiativ mehr Altersvorsorge betrieben werden müsse. Gerade Familien mit Kindern tragen zur Zukunftsfähigkeit der Sozialsysteme bei – auch unter diesem Aspekt ist nicht einsichtig, gerade diesen Familien Nettoeinkommen zu nehmen, welches dann nicht mehr für private Altersvorsorgebeiträge zur Verfügung steht. Aus diesem Blickwinkel wäre es durchaus gerechtfertigt, Kindertagesstätten auch in vollem Umfang und damit zu Lasten aller Steuerzahler aus öffentlichen Geldern zu finanzieren.
• In der Satzung in jedem Fall berücksichtigt werden müsste, dass auch Unterhalts-verpflichtungen für ältere Kinder bzw. solche, die keine städtische Kindertagesstätte besuchen, zu erfüllen sind. Ausschließlich auf 'Gleichzeitigkeit' der Betreuung in einer städtischen Einrichtung abzustellen, ist an dieser Stelle – auch in Anbetracht der Einführung von Studiengebühren usw. - zu kurz gedacht. Bei der Einkommensermittlung für Zwecke der Gebührenbemessung müssen alle unterhaltsberechtigten Kinder Berücksichtigung finden.
• Auch entbehrt es einer gewissen Sensibilität, wenn angesichts der ab dem 1.1.2006 neu geschaffenen Möglichkeit, wenigstens einen Teil der Kinderbetreuungskosten als Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben von der Steuer abzusetzen, durch entsprechende Gebührenerhöhungen Steuererleichterungen den Familien wieder 'genommen' werden. Auch an dieser Stelle erscheint es fragwürdig, warum die Familien mit Kindern und nicht alle Steuerzahler in Anspruch genommen werden.
• In Familien, in denen Vater wie Mutter ihrer Verantwortung nachkommen und beide zum Familieneinkommen beitragen, wächst die Belastung mit Gebühren für Kindertageseinrichtungen nach der neuen Satzung bereits mit einem Kind um bis zu 36 %.
• In Familien, in denen zwei Kinder eine Kindertagesstätte besuchen, wächst die Belastung mit Gebühren nach der neuen Satzung sogar um bis zu 86%, wenn beispielsweise beide Kinder noch im Krippenalter sind. Die Berufstätigkeit – gerade in den ersten Jahren der Kindererziehung sind es meist immer noch die Frauen, die überproportional für die Organisation der Kinderbetreuung verantwortlich zeichnen – wird für Frauen dadurch nahezu unmöglich gemacht. Gebühren von monatlich EURO 842 für zwei Kinderkrippenplätze erfordern einen Bruttoverdienst von fast EURO 1.800 monatlich. Berücksichtigt man, dass bei Steuerklasse V überproportional hohe Steuerbelastung (zur Kompensation des Splittingvorteils für Ehegatten) dazu kommt, müsste Frau rd. EURO 3.500 brutto monatlich verdienen, um den Verlust von Splittingvorteilen sowie Finanzierung der Kinderbetreuung auszugleichen. Zum Lebensunterhalt ist dabei noch nicht viel beigetragen. Im Klartext bedeutet dies: Berufstätigkeit der Frau wird diskriminiert, denn Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird faktisch unmöglich gemacht. Über die Gebührenbefreiung für ein drittes Kind kann sich dann nur die Familie freuen, die es schafft, ihre wirtschaftliche Existenz auch mit zwei Kindern noch zu sichern. Dies kann aber in vielen Fällen nur gelingen, wenn die Berufstätigkeit beider Eltern möglich ist und ein Einkommen nicht durch Gebühren übermäßig aufgezehrt wird.
• Für berufstätige Mütter, die sich auch heute noch mit dem Bild der Rabenmutter herumschlagen müssen, ist die geplante Praxis ein weiterer Affront. Nach oftmals langer Ausbildungszeit endlich in die Familienplanung eingestiegen, wird ihre Zwickmühle nur noch größer. Es entsteht zunehmend die Situation, dass der Verdienst der Mutter (mit Steuerklasse V) vom Kindertagesstättenbeitrag aufgebraucht wird oder sogar nicht mehr ausreicht. Eltern, die bereits stark durch progressiv hohe Steuern zum Gemeinwohl beitragen, haben wenig Verständnis, wenn sie zusätzlich noch hohe Elternbeiträge für Kindertagesstättenplätze leisten sollen und/oder keinen Platz für ihr Kind bekommen, der dazu auch nicht in jedem Fall ihren Bedürfnissen entspricht. Zudem sollte die Investition in die Zukunftsfähigkeit der eigenen Berufsausbildung nicht schlechter gestellt werden als die Belastung der öffentlichen Haushalte für Wiedereingliederungsmaßnahmen und HartzIV. Wer glaubt, mit dem geplanten Weg gerade in bildungsfernen Familien und in unteren Einkommensklassen für mehr Bildungschancen zu sorgen, kennt nicht die Wirklichkeit in Familien.
Anstatt mit Gebührenerhöhungen Löcher im Stadtsäckel zu stopfen, sollte die Landeshauptstadt München die Anzahl der Betreuungsplätze vor allem im Kinderkrippen- als auch im Hortbereich massiv ausbauen. Stattdessen wird in einzelnen Stadtvierteln mit einer abnehmenden Geburten¬rate kalkuliert und so der statistische Versorgungsgrad künstlich nach oben geschraubt. Auch gibt es in einzelnen Stadtteilen massive Defizite bei der Versorgung mit Kindergartenplätzen. Nicht zuletzt ist es für berufstätige Mütter nicht hinnehmbar, dass - wie im Beispiel Schwabing - wenige Monate vor Schuljahresbeginn etliche Kinder ohne Hortplatz sind und so womöglich Eltern gezwungen werden, ihre Berufstätigkeit aufzugeben oder zumindest massiv einzuschränken. Berufstätigkeit mit Kindern wird von vielen Arbeitgebern bereits nur leidlich gefördert – es wäre schön, wenn wenigstens von staatlicher Seite nicht zusätzliche Hürden aufgebaut werden.
Nur wenn tatsächlich mehr und flexibleres Betreuungsangebot für alle zur Verfügung gestellt wird, sollte darüber nachgedacht werden, die nutznießenden Familien in einem den übrigen Lebenshaltungskosten in München angemessenen Umfang zu belasten. Zur mittelfristigen Stärkung des Stadtsäckels schlagen wir vor, einmal über Mautgebühren für die Zufahrt zum neuen Fussballstadion nachzudenken.
Erst kürzlich wurden in München die Leitlinien zur Familienpolitik für die allgemeine Diskussion freigegeben. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die geplanten Beitragserhöhungen sind in dieser Form jedoch falsch.
Für den Vorstand Für die Regionalstelle München
Barbara Locher-Otto Gudrun Taresch
Bundesvorsitzende Regionalstellenleitung München Stadt
Verband berufstätiger Mütter e.V. Verband berufstätiger Mütter e.V.
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Offener Brief an die Fraktionen im Rat der Stadt München:
SPD-Fraktion
- Dr. Bauer, Reinhard
- Belik, Oliver
- Colonnella, Fiorenza
- Gavras, Theodoros
- Gebhard, Angelika
- Meier, Brigitte
- Müller, Christian
- Rupp, Klaus-Peter
- Strobl, Christine,
- Walter, Gertraud
- Fincan, Ömer-Yasar
- Jahn, Stefanie
- Dr. Lange, Thomas
- Reissl, Alexander
- Renner, Monika
- Scheuble-Scheafer, Barbara
- Schmid, Helmut
- OB Ude, Christian
- Zurek, Beatrix
FDP-Fraktion
- Hirsch, Nadja
- Neff, Gabriele
CSU-Fraktion
- Altmann, Johann
- Burkhardt, Beatrix
- Oberloher, Gisela
- Pretzl, Manuel
- Schmidbauer, Mario
- Schosser, Elisabeth
- Stadler, Johann
- Strasser, Max
- Nagel, Ilse
- Pfundstein, Helmut
- Pretzl, Manuel
- Gast, Guido
- Quaas, Richard
- Zöttl, Vinzenz
Bündnis90/RL-Fraktion
- Benker, Siegfried
- Dietrich, Lydia
- Mühlhaus, Jens
- Schwartz, Boris
- Koller, Jutta