(openPR) Interview mit dem Bundesminister für Gesundheit Hermann Gröhe MdB, dem stv. Diözesanrates-Vorsitzenden Cornel Hüsch und der Hospiz- und Palliativbeauftragten des Caritasverbandes Wuppertal/Solingen Silke Kirchmann.
In den kommenden Tagen beschließt der Deutsche Bundestag ein neues Sterbebeihilfe-Gesetz. Dieses soll laut Politik mehr Klarheit und Handlungssicherheit für das examinierte Personal schaffen. Aber was muss das neue Gesetzt regeln und warum befürchten Kritiker wie Kirchen und Verbände eine Verschlechterung der Lage?
Mit seiner Aktion „Sterbebegleitung ist Lebenshilfe“ ruft der Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Köln gegen eine Legalisierung des geschäftsmäßig betriebenen Suizides auf und richtet seinen Fokus auf eine christliche und menschliche Sterbebegleitung bis zum letzten Atemzug.
Kurz vor der Bundestagdebatte sprach die Redaktion des Diözesanrates mit dem Bundesminister für Gesundheit, Hermann Gröhe, der Hospiz und Palliativbeauftragten des Caritasverbandes Wuppertal/Solingen, Silke Kirchmann und dem stv. Vorsitzenden des Diözesanrates, Cornel Hüsch.
Redaktion: In der Regel wollen studierte Mediziner Patienten heilen. Im Studium kommt nach Einschätzungen erfahrener Palliativmediziner und Hospizen das Thema Palliativmedizin viel zu kurz. Wie sehen Sie die derzeitige Studienordnung der angehenden Ärzte? Sollte das Fach Palliativmedizin nicht auch zur Verpflichtung gemacht werde?
BM Hermann Gröhe: Die Palliativmedizin ist bereits seit 2013 Pflichtlehr- und Prüfungsfach im Medizinstudium. Durch die Änderung der Approbationsordnung für Ärzte im Jahr 2009 wurde Palliativmedizin als Querschnittsbereich in das Medizinstudium aufgenommen. Das war wichtig und richtig. Denn Schwerkranke und Sterbende brauchen die Gewissheit, in ihrer letzten Lebensphase bestmöglich betreut und versorgt zu werden.
Redaktion: Wie schätzen Sie die Gefahr ein, dass im Falle einer Legalisierung des assistierten Suizides bald auch die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe im Deutschen Bundestag diskutiert wird? Der Schritt zur Enttabuisierung der Sterbehilfe an Kindern und Jugendlichen wäre dann ebenfalls nicht mehr weit.
BM Gröhe: Der Deutsche Bundestag hat in zwei Debatten über die letzte Lebensphase diskutiert. Kein Abgeordneter hat sich dafür ausgesprochen, ärztliche Tötung auf Verlangen in Deutschland zuzulassen. Das umfassende Tötungsverbot ist ein Zivilisationsfortschritt, den wir nicht aufweichen sollten – auch aus dem Wissen um unsere Geschichte. Es ist gut, dass sich die Abgeordneten im Deutschen Bundestag hier einig sind.
Redaktion: Mit der Aktion „Sterbebegleitung ist Lebenshilfe“ lehnt der Diözesanrat Köln den ärztlich assistierten Suizid ab. Was sagen Sie sterbenskranken Menschen und deren Angehörigen, deren ausdrücklicher Wunsch das Sterben ist?
Cornel Hüsch: Gerade am Ende des Lebens stellen sich dem Sterbenden und dessen Angehörigen existenzielle Fragen. Sie bei den Antworten nicht alleine zu lassen, ohne schematische Antworten vorzugeben, ist die Aufgabe der Sterbebegleitung. Nicht die „Hilfe zum Sterben“, sondern die „Hilfe beim Sterben“ ist dabei der Weg. So ist eine christliche Zuwendung zum Sterbenden auch damit verbunden, das Sterben zuzulassen und getröstet das eigene Leben in die Hände des Schöpfers zurückgeben zu können.
BM Gröhe: Schwerkranke Menschen brauchen die Gewissheit, dass sie in ihrer letzten Lebensphase nicht allein sind und sie bestmöglich versorgt und betreut werden. Unser Ziel muss es sein, ihnen Hilfe im Sterben anzubieten – das ist für mich gelebte Menschlichkeit. Damit ist jegliche Hilfestellung vor allem medizinischer, psychologischer und seelsorglicher Art gemeint, die Schwerstkranke in ihrem Sterbeprozess begleitet. Niemand muss Angst haben, am Ende seines Lebens unerträgliche Schmerzen ertragen zu müssen - die Palliativmedizin kann hier wirksam helfen. Das was heute an palliativer und hospizlicher Versorgung möglich ist, wissen aber viele Menschen nicht. Und es wird längst noch nicht überall angeboten. Hier müssen wir dringend besser werden – in der Aufklärung und im flächendeckenden Angebot. Deshalb werden wir diese Hilfe durch ein Gesetz flächendeckend ausbauen. Und niemand muss Angst haben, gegen seinen Willen am Leben gehalten zu werden. Hier kann durch eine Patientenverfügung oder durch eine Vorsorgevollmacht vorgesorgt werden. Dazu gehört natürlich, diesen Willen unmissverständlich zu erklären oder für Situationen, in denen man sich nicht erklären kann, durch eine Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht vorzusorgen.
Silke Kirchmann: Ich möchte zunächst verstehen aus welcher Leidmotivation (bewusst mit d) diese Idee entstanden ist. In der Regel stehen hinter diesen Absichten, kontrolliert aus diesem Leben zu scheiden, unkontrollierbare diffuse Ereignisse. Z.B Angst vor der Angst, Angst anderen Menschen zur Last zu fallen, Angst vor Schmerzen.
Wir haben aus meiner Sicht alle „Instrumente“ in Deutschland zur Verfügung, Menschen adäquat zu begleiten.
Redaktion: Viele engagierte Menschen sehen es als ihre Lebensaufgabe, Menschen auf ihrem letzten Lebensabschnitt zu begleiten. Wie ist Ihre Antwort auf die Frage der Finanzierung dieser ehrenamtlich getragenen Arbeit?
Kirchmann: Ehrenamtliches Engagement wird grundsätzlich gefördert über den §39a SGB 5. Dadurch haben wir ca. 80 % der Kosten gedeckelt. 20 % müssen über Spenden und andere Einnahmen finanziert werden. Das Problem ist, wenn die Spenden ausbleiben. Aus meiner Sicht ist die Fördersumme zu gering. Insbesondere die hauptamtliche Arbeit müsste mit höheren Beträgen gefördert werden.
BM Gröhe: Die Hospizbewegung in Deutschland hat eine starke Entwicklung genommen. Dazu trägt vor allem der unermüdliche Einsatz von mittlerweile 100.000 Menschen bei, die sich auf eindrucksvolle Weise für andere Menschen engagieren. Wir wollen die Hospiz- und Palliativversorgung mit einem Gesetz, das gerade im Bundestag und Bundesrat beraten wird, stärken und die finanziellen Grundlagen der Hospizarbeit deutlich verbessern. Auch das Zusammenwirken von medizinischer Betreuung und ehrenamtlicher Begleitung werden gefördert, zum Beispiel die hospizliche Begleitung von Menschen in der stationären Pflege oder im Krankenhaus. Menschen in ihrer letzten Lebensphase brauchen die bestmögliche medizinische Versorgung. Genauso klar ist aber auch: Die menschliche Nähe durch ehrenamtliche Helferinnen und Helfer wird immer unersetzlich bleiben, damit Menschen am Ende ihres Lebens nicht einsam sind.
Hüsch: Hilfe darf nicht Frage des Geldes sein. Wir wollen, dass den Sterbenden und dessen Angehörigen ohne eine Geldschere im Kopf geholfen werden kann. Daher ist eine umfassende und auskömmliche Finanzierung der stationären wie ambulanten Hospizarbeit unerlässlich. Jedes Krankenhaus muss ausreichend palliative Kapazitäten haben, ohne ständig über deren Finanzierung nachdenken zu müssen. Da sind Krankenhassen und die Gesellschaft in der Pflicht.
Redaktion: Wie sieht für Sie persönlich eine gute und qualitative Hospiz- und Palliativarbeit aus?
BM Gröhe: Wir brauchen Palliativmedizin und Hospizkultur überall dort, wo Menschen ihre letzte Lebensphase verbringen – sei es zu Hause, im Krankenhaus, im Pflegeheim oder im Hospiz. Deshalb stellen wir jetzt die gesetzlichen Weichen, um in ganz Deutschland ein flächendeckendes Hospiz- und Palliativangebot zu verwirklichen. Dazu gehört die bessere finanzielle Ausstattung für ambulante Hospizdienste und stationäre Hospize. Dazu gehört ebenso, dass die Palliativversorgung in der Regelversorgung gesetzlich verankert wird und zusätzliche Vergütungen für palliativmedizinische Leistungen eingeführt werden. In stationären Pflegeeinrichtungen wird die Hospiz- und Palliativversorgung ebenfalls ausgebaut, denn viele Menschen verbringen ihre letzten Lebensmonate dort. Dazu sollen Pflegeeinrichtungen stärker mit Hospizdiensten und Ärzten zusammenarbeiten. Auch in Krankenhäusern wird es zu deutlichen Verbesserungen der Palliativversorgung kommen, insbesondere auch in solchen Häusern, die keine eigenen Palliativstationen haben. Außerdem sollen Versicherte künftig einen Anspruch auf individuelle Beratung und Hilfestellung durch die Krankenkasse bei Leistungen der Palliativ- und Hospizversorgung bekommen.
Hüsch: Motivierte und qualifizierte Menschen, die sich dem Leidenden und Sterbenden mit ganzem Herzen zuwenden, die im besten Sinne mit-leiden und dabei Hoffnung und Trost schenken können die den Angehörigen, auch nach dem Tod des Angehörigen, im Blick halten und zugewandt bleiben, Räumlichkeiten die zeigen, dass die Würde des Menschen über den Tod hinaus reicht.
Kirchmann: Palliative und Hospizarbeit sollten sich grundsätzlich an der Autonomie der Patienten orientieren. Sie sollte alle Fassetten der Schmerzen seelische, spirituelle sowie physische und psychische Bedürfnisse konkret und offen berücksichtigen. Dazu gehören qualifizierte fachlich gut ausgebildete Ansprechpartner sowohl im Ehren- als auch im Hauptamt.
Redaktion: Die Bundesparteien streiten teils sehr emotional über das neue Suizid-Beihilfegesetz. Welche Gesetzgebung wäre für Sie (und Ihre Arbeit) die beste und warum?
Kirchmann: Einen assistierten Suizid brauchen wir aus meine Sicht nicht. Die palliative Medizin hat bereits jetzt alle Instrumente zur Verfügung. Eine Legalisierung des assistierten Suizides halte ich für fatal. Die Möglichkeiten des Missbrauchs sind unübersehbar. Und wir öffnen Menschen den Weg für eine „Selbstabschaffungsmöglichkeit“ nach dem Motto: „Wenn ich Euch zur Last falle dann schaffe ich mich ab“. Es darf nicht sein, das wir Menschen die Wahl geben sich zwischen Leben und Sterben entscheiden zu dürfen!
Gleichwohl, egal wie gut wir ausgebildet sind, egal wie gute die Angebote in Deutschland sind, - es gibt keine Garantie dafür, dass ein Patient „glücklich“ aus diesem Leben scheidet.
Manchmal ist es eben nicht die Morphiumspritze die fehlt, sondern es sind die ungeklärten Dinge, Beziehungen, Fragen die noch offen sind, die unseren Patienten „verhindert/blockiert“. Das würde mit einem assistierten Suizid sicherlich auch nicht gelöst.
BM Gröhe: Unser Strafrecht schweigt zu Recht zum Drama individueller Selbsttötung. Damit ist auch die Hilfe zur Selbsttötung straffrei. Das sollte auch so bleiben. Etwas anderes ist, wenn Selbsttötungshilfe geschäftsmäßig angeboten wird, gleichsam als Dienstleistung für Menschen, die nicht mehr leben wollen. Das lehne ich ab. Ich bin der Meinung, dass die Lebensschutzorientierung unserer Rechtsordnung ein Verbot der geschäftsmäßigen, organisierten Selbsttötungshilfe gebietet. Und ich bin dankbar dafür, dass die deutsche Ärzteschaft im Standesrecht sehr klar zum Ausdruck gebracht hat, dass Selbsttötungshilfe keine ärztliche Aufgabe ist. Das sollte nicht mit dem Zivilrecht ausgehebelt werden.
Hüsch: Wir sind als Diözesanrat davon überzeugt, dass es im Grunde keines Gesetzes bedarf. Erst recht kein Gesetz, dass ärztlich begleiteten Suizid oder jede Form von gewerblicher Sterbehilfe erlaubt.











