(openPR) Erster Ichthyosaurierfund auf neuem Grabungsgelände in Schandelah (Braunschweig)
Am 12. Mai 2015 war es soweit: Der Posidonienschiefer im Geopunkt Schandelah bei Braunschweig gab nach 180 Millionen Jahren den ersten Saurier wieder frei, einen Ichthyosaurier (Fischsaurier). Es handelt sich um den ersten Saurierfund dieser neuen Grabungsstelle in Braunschweig, die seit Sommer 2014 vom Naturhistorischen Museum in Zusammenarbeit mit der in Braunschweig ansässigen Dr. Scheller-Stiftung und dem Geopark Harz-Braunschweiger Land-Ostfalen untersucht wird. Wie üblich wurde der Fund unter Geheimhaltung geborgen und in die Präparationswerkstätten des Naturhistorischen Museums gebracht. Um welchen Ichthyosaurier es sich handelt – ob um eine bekannte oder eine neue Art –, wird sich erst nach der Präparation des Fundes zeigen, die mehrere Monate in Anspruch nehmen wird.
Die ungewöhnliche Dichte an Saurierfunden im Braunschweiger Land - der neue Ichthyosaurier ist bereits der 6. Saurierfund des Naturhistorischen Museums in 10 Jahren – erklärt sich aus der Geologie der Region. Braunschweig und seine Umgebung zählen zu den wenigen Orten in Norddeutschland, in der die Schicht des Lias epsylon bis an die Erdoberfläche heranreicht. Damit versprechen gezielte Grabungen wertvolle Funde und Erkenntnisse zur Tier- und Pflanzenwelt des Unterjura (ca. 199-175 Millionen Jahre v.Chr.). So konnten Wissenschaftler des Naturhistorischen Museums in den Jahren 2011 und 2012 in den Ortschaften Cremlingen und Hondelage mehrere spektakuläre Ichthyosaurier-Funde vermelden, mit Acamptonectes densus gelang sogar die aufsehenerregende Entdeckung einer neuen Saurier-Gattung aus der Unterkreide. Da die Erforschung des norddeutschen Jurameeres im Vergleich zu den bekannten Gebieten in Süddeutschland (vor allem Holzmaden bei Stuttgart) noch in den Anfängen steckt, sind die systematischen Grabungen in Braunschweig umso bedeutender für die Forschung.
„Wir sind sehr dankbar dafür, dass durch den Erwerb der ehemaligen Mergelgrube von Schandelah durch die Dr. Scheller Stiftung die wissenschaftliche Erforschung des Gebietes langfristig gesichert ist“, betont Dr. Ralf Kosma, Paläontologe des Naturhistorischen Museums und Grabungsleiter. „Umso wichtiger erscheint diese Forschungsarbeit vor dem Hintergrund, dass die süddeutschen und norddeutschen Meeresbecken zeitweise fast voneinander isoliert waren, weshalb mit unterschiedlichen oder zumindest abweichenden Faunen zu rechnen ist.“
Schon die erste Grabungskampagne im Jahr 2014 hatte zahlreiche Fossilien wie Tintenfische, Ammoniten, Fischreste, Koprolithe (fossile Exkremente), Pflanzenfossilien sowie Zähne und Knochen von Ichthyosauriern und Meereskrokodilen hervorgebracht. Wie der neue Ichthyosaurier werden sie zunächst in der Paläontologischen Präparation vorsichtig freigelegt, bis die Paläontologen mit der Bestimmung beginnen können.
Hintergrundwissen:
Das Jurameer
Vor 175 Millionen Jahren erstreckte sich das Jurameer über große Teile Mitteleuropas. Es war ein Nebenmeer der großen Tethys, die den Nordkontinent Laurasia vom Südkontinent Gondwana trennte und sich von Ostasien bis in die heutige Alpenregion erstreckte. Als sich im Unterjura Nordamerika von Europa abtrennte, sanken einige Bereiche Mittel- und Westeuropas ab und wurden von Flachmeeren geflutet. Anfangs war das von Inseln durchsetzte Flachmeer noch brackig, doch nach und nach stieg der Salzgehalt an.
Das Jurameer hatte nur eine schmale Verbindung zur offenen See, der Wasseraustausch war gering. Diese besonderen Bedingungen führten dazu, dass sich auf dem Grund des Meeres eine Sauerstoff-freie Bodenwasserschicht bildete. Lebewesen, die in den oberen Wasserschichten lebten, sanken nach ihrem Tode in diesen lebensfeindlichen Bereich ab und konnten im Bodenschlamm konserviert werden, da die Verwesung nur langsam und unvollständig erfolgte. Ein Glücksfall, denn diese Umstände bescheren der Wissenschaft reichhaltige Fossilienfunde.
Die Tierwelt des Jurameeres
Viele der Lebewesen, die das Jurameer bewohnten, erscheinen aus moderner Sicht fremdartig, wie z.B. der langhälsige Plesiosaurier. Die fossilen Überreste der Jurameer-Bewohner sind heutzutage eingebettet in mächtige Schichtpakete dunkler Tonsteine. Im Braunschweiger Land ist dieses Sedimentgestein bei Hondelage und Schandelah sehr gut erschlossen. Hier konnte das Naturhistorische Museum im Jahr 2011 eine spektakuläre Entdeckung verbuchen: Dominieren normalerweise Ammoniten und Fische die Fundstellen, konnten in Hondelage Ichthyosaurier geborgen werden.
Ichthyosaurier
Ichthyosaurier waren eine hoch spezialisierte Reptiliengruppe, die von landlebenden echsenartigen Vorfahren abstammte und sich wieder perfekt dem Leben im Meer angepasst hatte. Die Beine waren zu Paddeln umgestaltet worden, der Körper hatte eine perfekte, delfin-ähnliche Stromlinienform und die Tiere gebaren lebende Junge im Meer. Sie mussten somit nicht mehr zur Eiablage ans Land zurückkehren.
Der Geopunkt Schandelah
Der Geopunkt Schandelah ist ein naturhistorisches Gesamtprojekt für die Region Braunschweig / Harz. Es wurde von der Dr. Scheller Stiftung aus Braunschweig nach mehrjähriger Vorbereitungszeit ins Leben gerufen. Im August 2014 startete die erste Phase der Ausgrabungen nach urzeitlichen Fossilien auf dem Gelände des ehemaligen Schiefersteinbruchs. Die wissenschaftliche Leitung der Freilegungen hat das Staatliche Naturhistorische Museum Braunschweig (SNHM) übernommen. Auf dem 3,5 Hektar großen Waldgelände nordöstlich von Schandelah werden umfassende Untersuchungen in mehreren Grabungsphasen durchgeführt. Sie betreffen die Zeit des Jurameers von vor ca. 180 Mio. Jahren.
Ermöglicht wird das Projekt Geopunkt Schandelah durch eine breite Allianz von Unterstützern für die Initiative der Dr. Scheller Stiftung. Zu den Projektpartnern gehören neben dem SNHM der Geopark Harz-BraunschweigerLand-Ostfalen, das Niedersächsische Wissenschaftsministerium, die Bingo-Umweltstiftung, die Bürgerstiftung Braunschweig, die Braunschweigische Stiftung sowie private Spender.
Das Gesamtprojekt Geopunkt Schandelah besitzt vier inhaltliche Ebenen:
1. Wissenschaft & Forschung: Dazu gehören die laufenden paläontologischen Untersuchungen.
2. Bildung: Der Geopunkt Schandelah soll zu einem öffentlichen und schulisch nutzbaren Lern- und Erfahrungsort bez. der Themen Urgeschichte, Natur, Lebenswelt, regionale Heimat ausgebaut werden.
3. Naturschutz: Umgeben von industrieller Landwirtschaft soll das Gelände in ursprünglicher Form renaturiert werden. Der Geopunkt wird Rückzugsort für bedrohte heimische Tier- und Pflanzenarten.
4. Nachhaltiger Tourismus: Der Geopunkt Schandelah will das Angebot an historisch wertvollen Zeitorten der Region Braunschweig / Harz sinnvoll ergänzen. Ziel ist es, damit nachhaltigen Tourismus zu fördern und die regionale Identität zu stärken.
Die Dr. Scheller Stiftung
Die Dr. Scheller Stiftung wurde 2009 von den Eheleuten Kristiane und Dr. Rüdiger Scheller in Braunschweig gegründet. Die Stiftung fördert mit ihren Mitteln vorwiegend Projekte und Einrichtungen, die sich im Braunschweiger Land um die Erkundung, Sicherung und Eröffnung naturräumlicher Strukturen sorgen. Dabei gilt das besondere Augenmerk den paläontologischen und biologischen Schätzen. Schirmherr ist Herr Dr. Lothar Hagebölling, Chef des Bundespräsidialamtes a.D. Die Dr. Scheller Stiftung pflegt eine enge Zusammenarbeit mit dem Netzwerk der Braunschweiger Stiftungen. Im Jahre 2013 erwarb die Stiftung aus Eigenmitteln das Grundstück Steinbruch Schandelah zur Realisierung des Geopunkt-Projekts.