(openPR) [PFI/PN] - Zur Veröffentlichung des "World Energy Outlook 2012" durch die IEA nimmt das "Postfossil-Institut e.V." in Hamburg am heutigen 13. Nov. 2012 wie folgt Stellung:
Die deutschsprachige Presse freut sich mit dem " World Energy Outlook (WEO)" der IEA über die Nachricht, dass die USA bis 2035 zum Selbstversorger mit Öl und Gas werden könnten. Was die Presse übersieht: Ihre Leser leben nicht in Nordamerika!
Die für hiesige Leser viel wichtigere Frage ist, was der IEA-Bericht zu Europa sagt. Europa hat sein Ölfördermaximum 1996 erreicht, seit 2002 sinken die Fördermengen. Binnen 9 Jahren wurden in Europa 40% weniger Öl gefördert, die Fördermengen sinken weiter. Europa hat sein Fördermaximum längst überschritten. Der neue IEA-Bericht enthält daher für Europäer nur wenig Gutes: Zwar würde das Förderwachstum in den USA die internationalen Ölmärkte entspannen, doch Europa muss künftig mit China und Indien um die Förderung in Russland, Afrika und dem Nahen Osten konkurrieren. Russland, Europas größter Öl-Lieferant, steht in wenigen Jahren sein Ölfördermaximum bevor. In Konflikte um Rohstoffe, aus denen sich das "Scheichtum USA" künftig heraushalten können, wird Europa wegen seiner hohen und weiter steigenden Ölabhängigkeit stark hineingezogen werden. Nur ein konsequentes Zurückfahren des europäischen Öl- und Gasverbrauchs kann unsere Abhängigkeit und die daraus resultierenden Risiken verringern. Die Eigenförderungunseres Kontinents selbst ist nicht steigerbar – das sagt außer der IEA auch die euphorische Studie von Leonardo Maugeri, des früheren ENI-Spitzenmanagers und heutigen Harvard-Wissenschaftlers, über die "neue Ölrevolution" dank "Fracking".
Dr. Steffen Bukold (EnergyComment), Mitglied im Vorstand des PFI, sagt dazu: "Die EU ist die einzige große Wirtschaftsregion, die noch keine ölpolitische Strategie entwickelt hat. Die Wende im Stromsektor ist wichtig und richtig, aber wir sollten darüber nicht unsere extreme Abhängigkeit von Ölimporten besonders im Transportbereich aus den Augen verlieren."
Der Ausbau der Öl- und Gasförderung in den USA geschieht laut WEO nicht grenzenlos, und nach Erkenntnissen des PFI auch nicht ohne einen hohen ökologischen Preis. Praktisch der gesamte prognostizierte Zuwachs an Öl und Gas wird aus unkonventionellem Schiefergestein herausgepresst werden, ein sehr teures, technologisch anspruchsvolles und sehr energieaufwändiges Verfahren. Wir weisen hin auf die hohen Umweltkosten für die angestrebte fossile Autarkie der USA, die mit einer massiven Landschaftszerstörung, mit Gewässerverseuchung und mit weiteren Gefahren für die Anreicherung der Atmosphäre mit klimaschädlichen Stoffen einhergehen wird (Beispiel Provinz Atlanta, Kanada).
Den Höhepunkt des Förderbooms erwartet die IEA zwischen 2020 und 2025, also in etwa 10 Jahren. Das Niveau der Förderung wird dann etwa wieder dort liegen, wo das Land Anfang der 1970er Jahre seinen Förderhöhepunkt erreichte – bei etwa 10 Millionen Barrel pro Tag. Danach beginnt der Abstieg vom Fördergipfel erneut, nur dass die USA dann als Käufer auf einem internationalen Öl- und Gas-Markt auftreten werden, der zunehmend stark von Indien und China beansprucht wird. Die zusätzliche Nachfrage der USA trifft dann auf sinkende Fördermengen der Nicht-OPEC-Staaten und wird die Macht der OPEC-Länder weiter stark vergrößern.
Europa muss dann mit einem weiteren großen Nachfrager konkurrieren, daher dürfte das von der IEA genannte Preisniveau von 215 US$ im Jahr 2035 nur dann erreicht werden, wenn die Nachfrage nach Öl in Europa stark sinkt. Bislang sinkt der Ölverbrauch mit weniger als 1% pro Jahr, während Europas Eigenförderung mit 5,5% pro Jahr sinkt. Um Selbstversorger mit Öl zu werden, wie dies die USA vormachen, muss Europa seinen Verbrauch senken, weil es seine Eigenförderung nicht steigern kann. Als Zielgröße gilt, dass der Ölverbrauch sich mit derselben Rate verringern muss wie die Ölförderung, also mit 5 bis 6% pro Jahr.
Europäische Verbraucher – Privatpersonen, Unternehmen, Kommunen – sind gut beraten, sich nicht blind auf die optimistischen Szenarien der IEA zu verlassen und nicht die stark verkürzten Presseberichte als Grundlage ihrer Strategien zu verwenden. Die europäischen Verbraucher sollten sich aktiv um Verbrauchssenkung bemühen und Resilienz-Strategien entwickeln, die die individuelle und gesellschaftliche Widerstandsfähigkeit erhöhen, so dass auch plötzlich stark steigende Öl- und Gaspreise keine bedrohlichen Auswirkungen annehmen. Der IEA-Jahresbericht nimmt überraschenderweise an, dass es in den Förderländern selbst zu keinen nennenswerten politischen Änderungen kommt, die Förderung oder Export von Energierohstoffen drastisch drosseln. Politische Unruhen könnten allerdings schnell zu Situationen führen, bei denen weitaus höhere Preise zu zahlen sind, als dies die IEA-Szenarien suggerieren.
Für alle, die sich um den künftigen Ölpreis sorgen, hat der Ölmarkt-Analytiker im PFI, Dr. Klaus Bergmann, trotz des IEA-Optimismus wenig Beruhigendes für die Zukunft vorherzusagen: "Da teure Technik mehr denn je Grundlage der zukünftigen Ölversorgung ist, sind und bleiben uns steigende Preise auch weiterhin erhalten".
© PFI, 13.11.2012
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