(openPR) Schwaikheim, 13.10.2011. Rund 1100 Betroffene, Angehörige und Interessierte aus ganz Deutschland trafen sich am 2. Oktober 2011 im Gewandhaus zu Leipzig - nicht zu musikalischem Genuss, sondern um sich mit der schweren Erkrankung Depression auseinanderzusetzen.
Ein prominenter Schirmherr, nämlich niemand Geringeres als Entertainer Harald Schmidt, und ein ungewöhnlicher Ort für ein ernstes Thema machten diesen 1. Patientenkongress Depression zu einer überaus erfolgreichen Veranstaltung für alle Beteiligten: Die Organisatoren Stiftung Deutsche Depressionshilfe und die Deutsche DepressionsLiga e.V. und vor allem die Besucher, von denen es sicher vielen gerade wegen ihrer Erkrankung nicht leicht fiel, eine solche Großveranstaltung zu besuchen.
Die Deutsche DepressionsLiga e.V. informierte an ihrem Stand über das Thema Depression und über die Ziele und Projekte des Vereins. Es fanden viele z.T. sehr persönliche Gespräche mit Kongressbesuchern statt. Deutlich spürten unsere Standbetreuer, allesamt ehrenamtliche Helfer aus den Reihen der DDL, wie groß das Bedürfnis Betroffener und Angehöriger ist, sich nicht immer und immer wieder erklären zu müssen, sondern Akzeptanz und Verständnis zu finden - sowohl im privaten Umfeld als auch in der Arbeitswelt.
Verbesserungsbedarf
Vor allem drei Bereiche in der Behandlung der Depression müssen dringend verbessert werden: Erstens müssen diejenigen, denen es schlecht geht, auch tatsächlich zum Arzt gehen und ihre Probleme ansprechen. Wenn der Kongress ein wenig dazu beitragen konnte, dass mehr Menschen ihre Depression nicht mehr als Versagen oder persönliche Schwäche ansehen, sondern sich trauen, ihrem Arzt davon zu berichten, hat er seinen Zweck bereits erfüllt.
Zweitens: Die erste Anlaufstelle ist häufig und richtigerweise der Hausarzt. Wenn jemand sich überwindet und endlich von seinen psychischen Problemen berichtet, braucht er ein Gegenüber, das damit umgehen und im Hinblick auf die weiteren Schritte umfassend beraten kann. Und es ist auch ein Hausarzt vonnöten, der hinterfragt, wenn er merkt, dass ein Patient über lange Zeit immer wieder wegen wechselnder Beschwerden zu ihm kommt, um die Diagnose und Behandlung einer eventuell dahintersteckenden Depression zu veranlassen. Die Fachärzte für Allgemeinmedizin hier weiter zu sensibilisieren, ist eines unserer Hauptanliegen. Hierzu stellen wir Ärzten, Gesundheitsämtern, Beratungsstellen und anderen Einrichtungen Aufklärungsplakate zur Verfügung und wollen zukünftig Informationsveranstaltungen anbieten.
Der dritte Bereich ist noch weiter gefasst und nicht von Einzelnen beeinflussbar: Diejenigen, die sich eingestehen, dass sie Hilfe brauchen, tun das - s.o. - leider oft viel zu spät, wenn die Depression so schwer geworden ist, dass sie mit dem Leben nicht mehr zurechtkommen. Dann gerade wäre schnelle und intensive Hilfe angezeigt, um dem immer stärker werdenden Sog der Depression wirksam zu begegnen. Dass man in dieser Situation jedoch oft wochenlang auf einen Psychiater-Termin und noch länger auf einen Psychotherapieplatz warten muss, wird einem erst klar, wenn man zum Telefon greift. In dieser Situation vertröstet zu werden, fühlt sich für Betroffene an, als würde ihnen der Boden weggezogen. Hier immer wieder Absagen zu erhalten, kann der Auslöser für eine Verschlimmerung sein, und manch ein Klinikaufenthalt würde nicht nötig werden, wenn dem Betroffenen sofort zwei Termine wöchentlich bei einem niedergelassenen Psychotherapeuten zur Verfügung stehen würden.
Und auch wer bereits bei beginnenden Anzeichen einer Depression einen Facharzt aufsuchen will, um einer Verschlimmerung entgegenzuwirken, sieht sich mit langen Wartezeiten konfrontiert. So kann einer drohenden Arbeitsunfähigkeit nicht rechtzeitig begegnet werden und der Kranke läuft Gefahr, tief in das depressive Loch zu fallen.
Erfreulicherweise wird das Thema Wartezeiten mittlerweile von den Berufsverbänden der Therapeuten und den Krankenkassen diskutiert. Eine eigene Umfrage der DDL läuft noch bis 15. Oktober und erfasst weitergehende Angaben, u.a. wie viele Therapeuten vergeblich angerufen werden müssen, bis überhaupt ein Erstgespräch möglich ist, und wie es Betroffenen während der Suche nach einem Psychotherapieplatz geht.
Ein Erfolg im Sinne von Verbesserungen in der Behandlung depressiv erkrankter Menschen ist das, was wir uns nach diesem Kongress für alle Betroffenen wünschen. Ein solches (Medien-)Ereignis kann Anstöße geben, die wichtigsten Themen wie viel zu lange Wartezeiten auf eine adäquate Behandlung, verbesserungsfähige Einbeziehung der Patienten in ihre Behandlung, mangelnde Anerkennung der Depression als wirtschaftlich und sozial relevante Volkskrankheit, ein immer noch immens großer Forschungsbedarf nicht wieder ad acta zu legen, sondern „dran zu bleiben“.
Offene Fragen
Diskussionsbedarf scheint es uns in der Frage zu geben, welche Rolle die Veränderung und Beschleunigung der Arbeitswelt spielt. Betroffene empfinden häufig einen engen Zusammenhang zwischen ihrer Erkrankung und ihren Arbeitsbedingungen. Uns erscheint es geboten, hier zweigleisig solchen Einflüssen entgegen zu wirken, indem einerseits Arbeitsplätze unter Berücksichtigung dieser Problematik gestaltet werden und andererseits jeder Einzelne darauf achtet, seine persönlichen Grenzen von Belastung zu beachten.
Nehmen Depressionen zu oder werden sie nur häufiger erkannt und als solche benannt? Oder bewirken beide Faktoren die Zunahme der Fallzahlen? Auch diese Frage war ein Thema des Kongresses, das weiterer Bearbeitung bedarf.
Wann ist es sinnvoll oder gar unumgänglich, depressiv Erkrankte krank zu schreiben und wann kann ihnen die Arbeit sogar helfen, mittels Tagesstruktur und sozialer Kontakte die Krise besser zu überwinden? Ohne Zweifel ist jemand, den eine akute schwere Depression derart lähmt, dass einfachste Handlungen im Haushalt zu unüberwindbaren Aufgaben werden, nicht arbeitsfähig. Um aber während der Genesung, die oft einen langen Zeitraum umfasst, wieder zurück ins Leben zu gelangen, kann Arbeit helfen - wenn man einen Arbeitgeber hat, der erkennt, dass ein Entgegenkommen z.B. in einer flexibleren Arbeitszeitgestaltung auch dem Unternehmen zugutekommt, indem der Mitarbeiter früher wieder an den Arbeitsplatz zurückkehrt.
Resümee zum Kongress
Was in jedem Arzt-Patientengespräch selbstverständlich sein sollte, nämlich dass der Behandler die Anliegen seiner Patienten anhört und ernst nimmt, auch wenn sie ihm noch so unwahrscheinlich vorkommen, wurde mit diesem Kongress erstmals auf der im wahrsten Sinne des Wortes großen Bühne Wirklichkeit: Man hat die Betroffenen angehört. Und während der Podiumsdiskussion schlug Harald Schmidt vor, beim nächsten Kongress einen eigenen Programmpunkt für Fragen und Statements des Publikums, das ja aus Betroffenen bestand, vorzusehen. Recht haben Sie, Herr Schmidt.
Der Kongress war ein beeindruckendes Ereignis für die Betroffenen. Plötzlich durfte man aussprechen, dass man mit Depressionen zu tun hat. Der Kongress war aber auch ein wunderschöner Tag in einer erstaunlich heiteren Atmosphäre, es wurde kein Trübsal geblasen, sondern wir erlebten einen gelungenen Wechsel zwischen Ernsthaftigkeit und Freude über die vielen gelungenen Beiträge in Form von Infoständen, Vorträgen, Workshops, der Moderation Harald Schmidts und der wundervollen musikalischen Umrahmung.
Der Kongress lieferte wichtige Impulse für die Wahrnehmung der Krankheit Depression in der Öffentlichkeit und hat dazu beigetragen, das Stigma, mit dem Depression immer noch behaftet ist, ein gutes Stück kleiner werden zu lassen.
Wir sind überaus stolz auf diesen großen Erfolg und freuen uns auf eine Wiederholung!