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Die Politik ist im Mitmach-Web noch nicht angekommen

31.03.200908:20 UhrPolitik, Recht & Gesellschaft
Bild: Die Politik ist im Mitmach-Web noch nicht angekommen

(openPR) Bad Boll / Kreis Göppingen - Von einem Internet-Wahlkampf nach dem Vorbild Barack Obamas sind die Parteien hierzulande noch weit entfernt. Welche Rolle Online-Aktivitäten im laufenden Wahljahr spielen, diskutierten Internet-Macher und Netzaktivisten am Wochenende (28.03.2009) in der Evangelischen Akademie Bad Boll.



Vor allem die sog. Sozialen Netzwerke wie Facebook, MySpace oder Xing, so der Gießener Politologe Christoph Bieber, haben dem US-Präsidenten in seinem Wahlkampf entscheidend genutzt. Allein bei Facebook kam Obama auf über 2 Millionen registrierte Unterstützer, während sich sein Konkurrent McCain gerade mal mit einem Viertel davon zufrieden geben musste. Auf der Video-Plattform YouTube wurden Obama-Videos 78 Millionen mal abgerufen, für McCain interessierten sich kaum 20 Millionen.

Neu an Obamas Online-Strategie war nach Ansicht Biebers vor allem die Einbeziehung der Nutzer ins Wahlkampfmanagement. Über die Sozialen Netzwerke wurde der ehrenamtliche Einsatz von Wahlhelfern koordiniert und den Unterstützern »Werkzeuge« für Nachbarschaftskampagnen, Anrufzettel oder die Organisation von Wahlpartys zur Verfügung gestellt. Höchst erfolgreich war auch die Einwerbung von Kleinspenden über das Internet: Über 200 Millionen Dollar hat Obama auf diese Weise zusammen bekommen.

Für die Bildung solcher Gemeinschaften bedarf es einer Vorlaufzeit, die den Parteien in Deutschland nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Biebe rin den anstehenden Wahlkämpfen nun nicht mehr zur Verfügung steht. Er geht daher davon aus, dass es hierzulande statt »Community unterstützter Kampagnen« eher »einen durchchoreografierten Talkshow-Wahlkampf« geben wird.

Tatsächlich bestätigten Parteienvertreter auf der Tagung, dass sie sich zwar um den Ausbau ihrer Online-Präsenzen bemühen, für einen modernen und wirksamen Internetwahlkampf aber weithin die Mittel fehlen. Dirk Baranek, der sich um den Web-Auftritt der baden-württembergischen SPD kümmert, räumte ein, dass die Mitglieder-Zahl der eigenen Facebook-Gruppe bei weit unter Tausend liege. Es sei schon ein großer Schritt gewesen, »die Partei in Web 1.0 zu bringen«. Die Möglichkeiten des Mitmach-Internets in größerem Umfang zu nutzen, sei wünschenswert, aber dafür fehle einfach das Geld.

Auch in der Landes-FDP sei man »mit viel Enthusiasmus und Herzblut dabei«, sagte Web-Master Markus Lochmann. Doch mit einer halben Stelle für den Internet-Beauftragten in der mit insgesamt viereinhalb Kräften besetzten Landesgeschäftsstelle könne man keine großen Sprünge machen. Es sei schon viel, wenn für einen Landtagswahlkampf ein dreistelliger Betrag für Internet-Aktivitäten eingesetzt werde. Nicht zuletzt deshalb setzt die FDP auf Online-Spenden und nutzt kostenlose Internetressourcen, etwa zur Übertragung von Parteiveranstaltungen.

Mit eigenem Blog, Videos auf YouTube, einer Facebook-Gruppe und Kurzmeldungen im neuen Internetdienst Twitter sind auch die baden-württembergischen Grünen erst seit wenigen Monaten aktiv. »Wir müssen ins Web 2.0, weil sich da die Leute tummeln«, betonte in Bad Boll Pressesprecher Thilo Berner. Doch auch er bekannte, Anlaufstelle sei immer noch die klassische Homepage und deren Reichweite sei »begrenzt«.

Deutlich wurde im Verlauf der Tagung, dass die Mobilisierungspotenziale im Netz bei allen Parteien Begehrlichkeiten wecken. Zugleich sind aber auch Befürchtungen über einen Kontrollverlust im Mitmach-Web im Spiel. Denn die Entwicklung von Themen und Diskussionen lässt sich zumindest in den Sozialen Netzwerken kaum noch steuern. Markus Lochmann von der FDP bekannte daher: »Wir werden das Social Networking in Grenzen in den Wahlkampf integrieren, aber sicher nicht jeden Beitrag in unseren Internetauftritt übernehmen«.

In der Tat biete das Internet jedem die Chance, »sich schnell und ohne Aufwand einzumischen und seine politische Stimme zu erheben«, erklärte die Bloggerin Caroline von Lowtzow auf der Tagung. Zahlreiche sog. Kampagnen-Sites beweisen nach ihrer Meinung, dass Politik nicht nur Partei-Politik sei und Demokratie nicht bedeute, alle vier Jahre ein Kreuzchen zu machen. Das Internet habe vielfältige Möglichkeiten geschaffen, ein Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Seine besondere Stärke liege dabei in der internationalen Vernetzung. Allerdings betonte sie auch, dass nicht das Medium, sondern erst sein Gebrauch Veränderungsprozesse in Gang setzen könne.

Wie sich das Internet als kritische Gegenöffentlichkeit verwenden lässt, demonstrierte der Netzaktivist Markus Beckedahl auf der Tagung. Seit Jahren nutzt er seinen Blog, um interne Papiere aus Ministerien und Vorstandsetagen publik zu machen oder Kampagnen – etwa gegen Wahlcomputer oder die Vorratsdatenspeicherung – anzustoßen. Dabei zeigte er sich überzeugt, dass das Internet neue Formen der politischen Beteiligung möglich mache. Für die Parteien mit ihren »hierarchischen Kommunikationsstrukturen« sah er wenig Zukunftschancen.

Skeptisch beurteilte Beckedahl auch die künftige Bedeutung der klassischen Medien. Für ihn lag die Aufgabe von Journalisten bislang vor allem darin, Informationen auszuwählen und zusammen zu fassen. Dafür gibt es seiner Meinung nach künftig keine Notwendigkeit mehr: »Im Internet ist noch eine ganze Menge Platz.«

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