(openPR) Seit Ende letzter Woche gibt es in der Berichterstattung über die Türkei in den deutschen Medien fast nur noch ein Thema: den 17-jährigen Marco W., der seit Ostern in einem türkischen Gefängnis auf sein Verfahren wartet, weil er eine 13-jährige - und damit minderjährige - Engländerin sexuell missbraucht haben soll. Aber nicht nur die Berichterstattung, sondern vor allen Dingen die vielfältigen Kommentierungen und Forderungen deutscher Politiker im Zusammenhang mit diesem Fall, sind wenig geeignet, sich ein klares Bild über die Vorgänge - einschließlich des Verhaltens der türkischen Justiz - zu machen und „den Fall Marco W.“ zu einem für alle Seiten zufrieden stellenden Ergebnis zu bringen.
Fasst man die bis jetzt vorliegenden Informationen zusammen, so ergibt sich folgendes Bild. Zwei in der Türkei weilende Ausländer - eben der 17-jährige junge Deutsche und eine13-jährige Engländerin - haben in diesem Land strafrechtlich ausgedrückt „sexuelle Handlungen“ gegenseitig ausgeführt. Unstrittig ist dabei bisher, dass die junge Engländerin sich als 15-Jährige ausgegeben hat, und die Handlungen in keinem Fall gegen in ihren Willen, sondern mit ihrer vollen Zustimmung erfolgten.
Doch das interessierte die Mutter des Mädchens offensichtlich nicht und - aus welchen Motiven auch immer - erstattete sie Anzeige bei der türkischen Polizei. Welche Informationen sie über das Geschehen hatte, wird bis heute in keinem der Berichte erwähnt. Doch merkwürdig ist ihr Verhalten in jedem Fall, folgt man den spärlichen Informationen zu diesem Fall. So soll sie sowohl ein Gespräch mit dem jungen Mann als auch mit dessen Eltern abgelehnt haben und wie die ATR aus verlässlicher Quelle weiß, ist sie bis heute auch nicht bereit, ihre Anzeige zurückzuziehen.
Unstrittig ist, dass sowohl nach deutschem wie auch nach türkischem Recht sexuelle Handlungen mit, an oder vor Kindern als sexueller Missbrauch gesehen werden und die Kinder dabei als „Opfer“ gesehen werden. Als Kinder gelten dabei nach deutschem Strafrecht Personen, die das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben. In der Türkei ist die Altersgrenze das fünfzehnte Lebensjahr. Ob sich die Engländerin aber als Opfer gefühlt hat, darf nach den bisherigen Berichten wohl ernsthaft bezweifelt werden.
Aus Sicht des Rechtes spielt dies zunächst keine entscheidende Rolle, doch wird der Richter dies berücksichtigen müssen, wenn er die Schuld des Täters bemessen will. Der in Nürnberg praktizierende deutsch-türkische Rechtsanwalt Cüneyt Gençer von der Rechtsanwaltskanzlei Rechtsanwälte Gençer & Coll. geht davon aus, dass «eine Verurteilung gerade wegen der geringen Schuld des jugendlichen Täters aufgrund der Vorstellung des Opfers als 15-jährige Person und der Freiwilligkeit in einem Strafrahmen unter zwei Jahren Freiheitsstrafe ausgesprochen werden kann. In diesem Fall hat der Richter die Möglichkeit, die Freiheitsstrafe in Geldstrafe umzuwandeln. Es wäre dann eine Geldstrafe in Höhe von ca. EUR 700,00 wahrscheinlich.»
Kommen wir zu einer zusammenfassenden Bewertung. Es ist bedauerlich, dass eine englische Mutter den Weg zu einem ausländischen Gericht wählte, anstatt mit ihrem Kind und dem Jugendlichen ein klärendes Gespräch zu suchen. Es verwundert ein wenig, dass ein türkisches Gericht über viele Wochen hinweg einen jugendlichen Ausländer in Untersuchungshaft hält, obwohl das Delikt keinen türkischen Bürger - und damit im Grunde auch nicht türkische Interessen - betraf. Wie die Ausführungen des deutsch-türkischen Rechtsanwaltes Cüneyt Gençer deutlich machen, hätte man den Fall schnell und dennoch „juristisch korrekt“ mit der Verhängung einer Geldstrafe lösen können.
Es ist aber ebenso erschreckend, wie ein Großteil der deutschen Presse diesen Fall hochspielt, um massiv gegen die Türkei zu polemisieren und polarisieren und wie deutsche Politiker populistische Positionen beziehen, um sich im Rampenlicht der Presse zu produzieren.
Marco W. wird dadurch nicht geholfen! Ebenso wenig hilfreich war aber auch sein Interview, das er einer großen türkischen Tageszeitung gegeben hat und in dem er die Verhältnisse in dem Gefängnis als insgesamt akzeptabel bezeichnet hat. Wer Berichte über türkische Gefängnisse aus erster Hand erhalten hat, weiß um die tatsächlichen Verhältnisse …
Der Kommentar wurde verfasst von Jürgen P. Fuß, Chefredakteur der ATR, der einzigen deutschsprachigen Wochenzeitung für die Türkei.
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